Über das Haben
hat. Es ist etymologisch als verbale Ableitung aus dem Nomen «Krieg» gebildet worden. Davon zeugt noch bis heute das im Sprachgebrauch völlig veraltete, jedoch intransitive Verb «kriegen» mit der Bedeutung «Krieg führen». Irrlichtert vielleicht diese Herkunft noch – mehr oder weniger bewusst – in manchen Köpfen? Von der normativen Grammatik und Stilistik wird nämlich für den deutschen Sprachgebrauch manchmal ganz offen, bisweilen auch verdrückt empfohlen, die Formen des Verbs «kriegen» am besten gar nicht oder allenfalls in der gesprochenen Umgangssprache zu verwenden. In der deutschen Schriftsprache und sogar in den höheren Registern der gesprochenen Sprache soll man stattdessen das Verb «bekommen» oder (seltener) «erhalten» verwenden. Es entstehen dann bei einigen Sprechern oder Schreibern solche Verrenkungen wie «wir BEKOMMEN das schon hin» an Stelle der vielgebrauchten Redensart «wir KRIEGEN das schon HIN », gegen die in einer passenden Situation wenig einzuwenden ist.
Und was sagt die Lexikographie dazu? Die Duden-Redaktion hat für ihr «Deutsches Universalwörterbuch» (7. Auflage 2011) aus den bekannten Fakten auch für die deutsche Gegenwartssprache die befremdliche Folgerung gezogen, das Verb «kriegen» nicht etwa in seinem grammatischen Zusammenwirken mit HABEN , sondern in seinem archaischen Zusammenhang mit dem kriegerischen Kriegen zu beschreiben. Man findet tatsächlich das Verb «kriegen» eingekastelt mitten in dem Wörterbuch-Artikel «Krieg», als ob es immer noch einen kriegerischen Unterton hätte. Das ist seit einer langen Geschichtszeit nicht mehr der Fall. Der einzige Krieg, der dem sehr geläufigen Verb und Hilfsverb «kriegen» heute noch zu schaffen macht, ist der unnötige Krieg der normativen Grammatiker gegen dieses arg- und harmlose Wort der deutschen Sprache.
Ich plädiere also, dieses Verb betreffend, auf Freispruch wegen erwiesener Unschuld und ermutige die Sprecher und Schreiber der deutschen Sprache, es unbefangen in Wort und Schrift zu gebrauchen, genau so unbesorgt wie das semantisch verwandte Elementarverb HABEN . Für dieses Votum habe ich übrigens viele verlässliche Zeugen.Das sind die Liebesleute unseres Landes, wenn sie sich nämlich an die bekannte Maxime halten: «Was sich liebt, soll sich auch KRIEGEN ». Und dann sollen sie, wenn sie es denn wollen, auch irgendwann «Kinder KRIEGEN » – und nicht etwa sie «bekommen» oder «erhalten».
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MUSS MAN BESITZEN, WAS MAN HAT? – EIN NOSTALGISCHES KAPITEL
In jenen fernen Zeiten, als ich auf der «Katholischen Sankt-Josephs-Volksschule für Jungen» zu Münster in Westfalen die Schulbank drückte, habe ich dort auch gelernt, wie es sich in der Grammatik, will sagen in der Sprachlehre, mit dem HABEN verhält. Ich erinnere mich, dass wir «I-Männchen» die Gebrauchsregeln dieses «Tu-Wortes» fast von selber lernten. Ich HATTE ja eine Schreibtafel/einen Griffel/einen Schwamm/einen Tafellappen und HATTE das alles auch ziemlich ordentlich in meinem Ranzen.
Ebenso selbstverständlich war es für mich zu sagen: «Zuerst HABEN wir heute Lesen, Schreiben und Rechnen, danach HABEN wir Singen und Turnen». Und für all das HATTEN wir unseren Lehrer Springer (Ehre seinem Andenken!). Er achtete allerdings genau darauf, dass wir «ich HABE » und nicht «ich HAB », « HÄTTEST du doch» und nicht « HÄTTSTE doch» schrieben, alles aber immer hübsch sauber mit weißer Schrift auf der schwarzen Schiefertafel. War das irgendwann gegen seinen Sinn, dann HATTE er für diesen Zweck sein Stöckchen. Ich HABE aber nur einmal damit ein paar Schläge «durch die Hand» gekriegt.
Schwieriger war die Sache mit den «Dingwörtern». Gewiss, so sicher wie ich den Ranzen HATTE , so war das auch MEIN Ranzen. Mit dem Dingwort Ranzen (etwas, was man anfassen kann, deshalb Dingwörter) konnte also ein «besitzanzeigendes Fürwort» verbunden werden, wie im Beispiel MEINES Ranzens. Da habe ich jetzt aber nach dem «Wer-Fall» des ersten Beispiels schon einen «Wes-Fall» gebraucht. Ach, was war bei den «Fürwörtern» nicht alles zu unterscheiden! Die drei Personen (1., 2. 3. Person), die zwei Zahlformen (Einzahl, Mehrzahl), die drei Geschlechter (männlich, weiblich, sächlich) und dann noch die vier Fälle (Wer-Fall, Wes-Fall, Wem-Fall, Wen-Fall). Das ergab zusammen ein ziemlich schwieriges Paradigma, will sagen «Päckchen»,das aber in Merkversen doch ziemlich leicht auswendig zu lernen war:
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