Über das Haben
der heikle Gegenstand mit Benutzung von allerhand heterogenem Deckmaterial vorsichtig umschlichen, zum Beispiel: «Er|sie HAT zur Regierung einen guten/schlechten Draht» oder: «Er|sie HAT das richtige/falsche Parteibuch». Das ist Alltagssprache pur.
Natürlich darf in diesem Zusammenhang auch der Bereich Liebe und Sex nicht fehlen, der trotz aller Auf- und Abgeklärtheit immernoch in der einen oder anderen Hinsicht als heikel betrachtet wird und dann Tabu-Strategien auslöst. Hier hat sich nach dem englischen Muster
HAVING sex
auch im Deutschen «Sex HABEN » schnell durchgesetzt.
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Tabus machen erfinderisch. Und so finden wir in der Sprache auch den folgenden Sonderfall: «Er|sie HAT null Bock auf Shopping/Leistungssport/Photographieren/Betriebsausflüge». Hier ist «Bock» das verhüllende Deckwort, und man findet im präpositionalen Anschluss den Sachverhalt, der «echt» gemeint ist. Diese formal nicht unkomplizierte, inhaltlich aber scheinbar primitiv sich gebende Redensart lässt sich mit fast beliebigen Handlungsbereichen kombinieren, denen auf harmlose Art die Gefolgschaft aufgekündigt werden soll.
Es soll noch angenommen werden, dass die Subjektsperson, die «null Bock auf gar nichts HAT », bei dieser Unlust-Äußerung beobachtet worden ist. Und eine andere Person sieht sich dadurch vielleicht zu einem kritischen Kommentar veranlasst, in dem sie sich ebenfalls einer verneinten HABEN -Prädikation bedient. Diese kann etwa lauten: «Er|sie HAT’S wohl nicht so mit der Familie/der Schule/der Bundeswehr/der Landwirtschaft». In dieser kleinen Beispielreihe ist das Deckwort für das Habitus-Objekt zu einem Pronomen im Neutrum («es»/«’s») geschrumpft. Doch ähnlich wie in dem vorhergehenden Beispiel bleibt am Ende noch Platz für einen präpositionalen Anschluss im Klartext.
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MARKETING FÜR HAB UND GUT UND FÜR HABSELIGKEITEN
In diesem Kapitel werde ich mir die Freiheit herausnehmen, zu einem Spaziergang durch die virtuelle Sprachwelt einzuladen. Ich lasse dabei meine Phantasie von dem Als-ob einer Werbe-Agentur ausgehen, die in der Sprache damit befasst ist, im öffentlichen Diskurs einige besonders wichtige Vokabeln gut ins Geschäft zu bringen.
Ist so ein Gedankenspiel überhaupt statthaft und mit den Spielregeln des wissenschaftlichen Diskurses vereinbar?
Das dürfte der Fall sein. Es gibt nämlich in der hier einschlägigen Wirtschaftswissenschaft (einer Geisteswissenschaft, wohlverstanden!) zwei historische Präzedenzfälle, die mit einem ähnlichen Verfahren keine schlechten Erfahrungen gemacht haben. Erster Präzedenzfall ist die «unsichtbare Hand» (
invisible hand
), eine ziemlich verwegene Fiktion biblischen Ursprungs, mit der Adam Smith im 18. Jahrhundert zu erklären versucht hat, wieso die Gesamtheit der Marktteilnehmer, auch wenn jeder Einzelne von ihnen nichts als sein eigenes Interesse verfolgt, dennoch einen allgemeinen Wohlstand hervorbringen kann. Selbst ein Philosoph wie Schopenhauer verschmäht es nicht, mit diesem «Begriff» zu hantieren. Zweiter Präzedenzfall, ebenfalls aus der Wirtschaftswissenschaft, ist im 19. Jahrhundert die fiktionale Gestalt des
homo oeconomicus
(Vilfredo Pareto), von dem angenommen wird, dass er sich bei allen Wahlentscheidungen des freien Marktes unbeirrbar von rationaler Einsicht und nie von irgendwelchen Einflüsterungen der Stimmung oder Werbung lenken lässt[ 1 ].
In ähnlich fiktionaler Manier soll hier angenommen werden, dass sich die deutsche Sprache seit längerer Zeit von einer Instanz der professionellen Werbung beraten lässt, um zu erfahren, wie die Wortfamilie HABEN möglichst erfolgreich zu vermarkten ist. Dieses Vorhaben ist allerdings dadurch erschwert, dass es der Konkurrenz bereitsgelungen ist, für die Begriffe «Besitz» und «Eigentum» eine höchst einträgliche Förderung durch die juristische Disziplin in der Sparte Sachenrecht zu erwirken. In der Tat findet man diese beiden Wörter (aber nicht HABEN !) im Bürgerlichen Gesetzbuch ( BGB ) in säuberlicher Unterscheidung definiert. Dadurch sind sie bereits zu wissenschaftlich anerkannten Begriffswörtern und zu Markenartikeln promoviert worden.
Unter diesen Bedingungen hat unsere PR-Agentur zunächst versucht, in ähnlicher Weise das Substantiv «die HABE » auf den Markt zu bringen, und zwar hauptsächlich als Kollektivbegriff für alle möglichen Sachobjekte, häufig in summarischen Ausdrücken wie «alle meine HABE »
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