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Über das Haben

Über das Haben

Titel: Über das Haben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Weinrich
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anders als es die Kunstkritik mehrheitlich tut, ohne besondere Betonung des altsymbolischen
Vanitas
-Motivs. Ein paar Perlenketten und andere Wertgegenstände als private HABE zu besitzen, das muss für die junge Frau auf diesem Bild kein Grund dafür sein, mit einem schlechten Gewissen zu leben und das Jüngste Gericht zu fürchten. Im Gegenteil, HAB UND GUT als ihr persönliches Eigentum zu besitzen und es in seiner Schönheit langsam betrachten zu können, dieses Glück dürfte für sie eher ein verlässliches Zeichen dafür sein, dass der Segen des Himmels auf ihrem Haus und Heim liegt, so wie auch die Frau selber, was der Betrachter nicht übersehen soll, «gesegneten Leibes» ist.
    *
    Eine dritte Waage, obwohl ebenfalls unsichtbar, könnte gleichwohl für die Malkunst Vermeers, wenn auch nicht gerade für dieses Bild, relevant sein. Ich beziehe mich auf eine Stelle in Marcel Prousts großem Romanwerk «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit» (
A la recherche du temps perdu
).[ 6 ] Der Erzähler berichtet an einer viel beachteten Stelle des Romans von dem plötzlichen Tod des Schriftstellers und Kunstfreundes Bergotte. Dieser hat in Paris eine große Vermeer-Ausstellung besucht und an deren Exponaten besonders die kunstvolle Farbgebung des Malers bewundert. So wie Vermeer auf seinem Gemälde der Stadt Delft jedes Detail, selbst ein unbedeutendes Stück gelben Mauerwerks (
un petit pan de mur jaune
), als vollkommenes Kunstwerk gemalt hat, so und nicht anders hätte er, Bergotte, als Schriftsteller schreiben wollen und sollen. Auf einer «himmlischen Waage» (
céleste balance
), so sagt er bei sich, hätte er dann seine Worte so fein abwägen können, dass «jeder Satz in sich wertvoll» gewesen wäre. Doch so kunstvoll zu schreiben hat er leider nicht vermocht. Hat er also falsch gelebt? Während ihm solche und ähnliche Gedanken durch den Kopf gehen, ereilt ihn noch in den Räumen der Ausstellung ein plötzlicher Tod.

 
     
     
VIERTER ABSCHNITT

Buchführung und Bilanzen
     
– 23 –

WIE ROBINSON DAS SOLL UND DAS HABEN LERNT – MIT LUCA PACIOLI UND DANIEL DEFOE
    Als eine große deutsche Bank für das stetige Wachstum ihrer Geschäftsbedürfnisse in der Frankfurter Innenstadt zwei große, nebeneinander liegende Bürotürme baute und bezog, fand der Frankfurter Volksmund alsbald einen passenden Namen für diese Zwillingstürme: SOLL und HABEN . Eine treffsichere Benennung!
    Doch welcher der beiden Türme heißt nun SOLL und welcher HABEN ? Klar ist nur, dass links der Soll-Turm und rechts der Haben-Turm stehen muss, denn das ist die Regel für die Buchführung nach SOLL und HABEN . Aber wo genau bei den vielen Hochhäusern des Frankfurter Bankenviertels links und wo rechts ist, das kommt auf den Standpunkt an, und der ergibt sich aus der doppelten Buchführung, wie sie seit dem späten Mittelalter für ein erfolgreiches Wirtschaftsleben entwickelt worden ist.
    *
    Die doppelte Buchführung (oder Buchhaltung) verdient, in einer Formulierung Goethes, das Interesse der Menschen im Leben und in der Literatur. Und so lässt er in seinem Roman «Wilhelm Meisters Lehrjahre» eine der Romanpersonen begeistert ausrufen: «Welche Vorteile gewährt die doppelte Buchhaltung dem Kaufmanne! Es ist eine der schönsten Erfindungen des menschlichen Geistes, und ein jeder gute Haushalter sollte sie in seiner Wirtschaft einführen.»[ 1 ] Zu verdanken ist diese Erfindung, wie so manches andere Erzeugnis findiger Köpfe, Italien. Es war im 14. Jahrhundert, dass Kaufleute verschiedener Städte Oberitaliens (Genua, Mailand, Florenz, Venedig) damit begannen, in ihren Geschäftsbüchern alle Vorgänge doppelt zu betrachten und sie zu diesem Zweck konsequent in zwei nebeneinander liegende Spalten einzutragen.
    Die italienischen Kaufleute, die ihre Bücher damals bereits zumeist in der Volkssprache (
Volgare
), die Überschriften jedoch öfter noch lateinisch abfassten, führten für die beiden Spalten der doppelten Buchführung die Ausdrücke
debet dare
(«soll geben») und
debet havere
(«soll haben») ein, die sich jedoch in der Folgezeit über verschiedene Zwischenstufen mehr oder weniger stark verändert haben. In der neueren Praxis der italienischen Buchführung ist schließlich das Begriffspaar
DEVE
und
AVERE
, in der deutschen Praxis SOLL und HABEN übrig geblieben.
    *
    Um zu erfahren, was es zunächst bei den Italienern, dann bei den Kaufleuten der ganzen Welt mit der doppelten Buchführung auf sich hat, ist von einem

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