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Über das Haben

Über das Haben

Titel: Über das Haben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Weinrich
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und vor allem die Bibel bilden nun seine HABE . Auch einen Hund und zwei Katzen HAT er noch als seine Gefährten bei sich. Sogar ein kleiner Vorrat an Geldmünzen fällt ihm in die Hände. Aber was soll er auf seiner Insel damit anfangen:
I HAVE no manner of use for thee!»
. Schließlich nimmt er den nutzlosen Reichtum doch mit an Land. Wichtig für den unfreiwilligen Einsiedler: Er findet an Bord auch Papier, Federhalter und reichlich Tinte, so dass er eine Zeitlang Tagebuch führen kann. So bescheiden diese Zufallsfunde auch sind, Robinson braucht sein einsames Inselleben jedenfalls nicht als Urmensch zu beginnen, sondern wie ein zivilisierter Engländer.
    Als erstes muss Robinson mit seinem Gewissen ins Reine kommen. Dabei geht er als Kaufmannssohn mit seinem Unglück streng rational um (
«by making the most rational judgment of things»
). Er zieht nämlich Bilanz (
account
) und trägt alles, was ihm widerfahren ist, entweder in die linke Spalte (bei ihm:
Evil
) oder in die rechte Spalte seiner Buchhaltung ein (bei ihm:
Good
). An Zeit für diese Tätigkeit fehlt es ihm nicht:
«I HAD time enough»
. Diese Buchführung, die Robinson mit kaufmännischer Akkuratesse für seinen Zustand anlegt, besteht in beiden Spalten aus sechs Positionen, bei denen jeweils das, was er noch IST , mit dem, was er noch HAT , vermischt ist, zum Beispiel in der ersten, vierten und sechsten Position:
I AM cast upon a horrible desolate island, void of all hope of recovery.
But I AM alive, and not drowned, as all my ship’s company was.
I HAVE no clothes to cover me.
But I AM in a hot climate, where, if I HAD clothes, I could hardly wear them.
I HAVE no soul to speak to or relieve me.
But God wonderfully sent the ship in near enough to the shore, that I HAVE GOTTEN OUT so many necessary things as will either supply my wants, or enable me to supply myself even as long as I live.
    [I/. Ich BIN auf eine schrecklich verlassene Insel verschlagen, ohne jede Hoffnung auf Rettung. – Aber ich BIN noch lebendig und nicht ertrunken, so wie es alle meine Schiffsgefährten sind. – iv/. Ich HABE keine Kleidung, meine Blöße zu bedecken. – Aber ich BIN in einem heißen Klima, wo ich, wenn ich Kleider HÄTTE , sie kaum tragen könnte. – VI/. Ich HABE keine Menschenseele, mit der ich sprechen oder bei der ich Trost finden könnte. – Aber Gott hat das Schiff wunderbar nahe ans Ufer gelenkt, so dass ich so viele nützliche Sachen herausschaffen konnte, wie sie entweder meinen Bedürfnissen entsprechen oder aber mir ermöglichen werden, mich für den Rest meines Lebens selber zu versorgen.]
    Was für eine Art Buchführung ist es nun, zu der Robinson sich auf seiner einsamen Insel die Zeit nimmt? Es sieht zunächst nach einer einfachen Buchführung aus. Denn eine evaluierende Bilanzierung, wie sie von Robinson zwischen «
Evil»
und «
Good
» vorgenommen wird, entspricht nicht eigentlich den Regeln der doppelten Buchführung, sondern allenfalls jenen der einfachen Buchführung nach Gewinn und Verlust.
    Soll das nun heißen, dass an dieser Stelle der Lektüre jemand den Finger erheben und kritisch anmerken dürfte: Hier, Robinson, stimmt deine Buchführung nicht mit den Regeln der professionellen Buchhalter überein! Nein, das wäre ganz unangebracht, wie sich deutlich an der Schlussbilanz dieser Buchführung zeigt, die als ein unmissverständliches Votum für eine doppelte Buchführung ganz anderer Art gelesen werden kann, da Gott selber als himmlischer Buchhalter in diemenschlichen Geschäfte eingreift. Denn ob das, was einem Unglücksmenschen wie Robinson im Leben widerfährt, von ihm als positiv oder als negativ, als Gut oder als Übel zu bewerten ist, das zu bilanzieren, muss der göttlichen Heilsrechnung vorbehalten bleiben, und dann hat manche Fügung vom SOLL ins HABEN zu wandern. Diese nicht mehr nur irdische Buchführung liest sich im Text des Romans wie folgt:
    Upon the whole, here was an undoubted testimony, that there was scarce any condition in the world so miserable, but there was something NEGATIVE or something POSITIVE to be thankful for in it; and […] that we may always find in it something to comfort ourselves from, and to set in the description of GOOD and EVIL , on the CREDIT SIDE of the account.
    [Aufs Ganze gesehen, lag hier nun ein unbezweifelbarer Beleg dafür vor, dass kaum jemals eine Lebensbedingung in der Welt so elend sein sollte, dass es in ihr nicht doch etwas Negatives oder etwas Positives geben könnte, für

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