Über das Sterben
Facharztwesen ist, steht einer ganzheitlichen Begleitung gelegentlich etwas im Wege. Das ist bedauerlich, denn die meisten Menschen sterben heute an chronischen Erkrankungen mit zum Teil komplexen Verläufen, vor allem aus den Bereichen Herz/Kreislauf, Krebs und Nervensystem, aber auch an Erkrankungen von Lunge, Leber, Niere usw. Hier wäre das Fachwissen der Spezialisten in Verbindung mit einer ganzheitlichen Sichtweise für eine gute Sterbebegleitung dringend notwendig. Wegen der längeren Überlebenszeiten bei chronischen Krankheiten (bedingt durch die Fortschritte der Medizin) betreuen Fachärzte ihre Patienten oft ebenfalls über Jahre und wären damit geradezu prädestiniert, sie auch auf ihrem letzten Lebensweg zu begleiten. Leider ist die Wahrnehmung dieser Aufgabe durch Kardiologen, Neurologen oder Lungenärzte noch gering ausgeprägt.
SAPV-Teams
Das ist eine der wichtigsten Neuerungen im deutschen Gesundheitswesen in den letzten Jahren. Mit der Gesundheitsreform 2007 wurde ein gesetzlicher Anspruch aller Versicherten auf die sogenannte «Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung» (abgekürzt SAPV) statuiert. Dies geschah gegen erheblichen Widerstand der Krankenkassen, die unkontrollierbare Mehrausgaben fürchteten. Auch die niedergelassenen Ärzte, die in permanenter Konkurrenzangst leben, äußerten Bedenken. Was aber ist die SAPV genau?
Hinter diesem Kürzel versteckt sich, wie meistens im Gesundheitswesen, ein kompliziertes Paragraphen-Regelwerk, welches das Resultat eines mühsam ausgehandelten Kompromisses zwischen unterschiedlichen Interessengruppen ist. Leider war die Interessengruppe, um die es eigentlich geht, nämlich die Palliativpatienten, so gut wie nicht in diesen Prozess eingebunden (die sogenannte
patient participation
ist im angelsächsischen Raum schon lange die Regel, bei uns gibt es erste zaghafte Ansätze, begleitet von viel Skepsis. Zitat aus einer Verhandlungsrunde: «Dazu kommt es noch, dass die Patienten selbst entscheiden, was für sie gut ist und was nicht!»).
Zur Verwirklichung des allen gesetzlich Krankenversicherten neu eingeräumten Anspruchs auf SAPV sollen in Deutschland flächendeckend sogenannte SAPV-Teams gebildet werden. Diese setzen sich zusammen aus Ärzten, Krankenschwestern und Koordinationskräften (das können auch Sozialarbeiter sein). In der Regel soll ein solches Team aus acht Mitarbeitern bestehen und 250.000 Einwohner versorgen, was rechnerisch eine Anzahl von 330 SAPV-Teams für das gesamteBundesgebiet ergibt. Aufgabe eines SAPV-Teams ist es, die Hausärzte bei der häuslichen Betreuung von besonders schwer kranken Patienten in der letzten Lebensphase zu unterstützen, falls nötig, die Patientenversorgung ganz oder teilweise zu übernehmen und mittels einer Rund-um-die-Uhr-Rufbereitschaft sicherzustellen, dass unnötige Krankenhauseinweisungen vermieden und der Wunsch der allermeisten Menschen, zu Hause zu sterben, realisiert werden kann.
In der Praxis funktionieren zumindest einige dieser Teams schon sehr gut. Das SAPV-Team des Klinikums der Universität München, das im Oktober 2009 als erstes Team in München einen Vertrag mit den Kassen abschließen konnte, hat im ersten Jahr seines Bestehens 278 Patienten betreut, wovon allerdings nur 175 die strengen Voraussetzungen für eine Finanzierung durch die Krankenkassen erfüllten. 82 Prozent der verstorbenen Patienten konnten zu Hause sterben, 17 Prozent starben auf einer Palliativstation oder in einem stationären Hospiz, und nur ein Patient starb auf einer Akutstation.[ 2 ] Bedenkt man, dass im Durchschnitt in Deutschland nur 25 Prozent der Menschen zu Hause sterben und dass es sich bei den SAPV-Patienten definitionsgemäß um die besonders schwer kranken und betreuungsaufwändigen Palliativpatienten handelt,[ 3 ] dann sind diese Zahlen durchaus beeindruckend. Der Teufel steckt aber wie immer im Detail. Hier in Kürze die größten Probleme der SAPV:
1. Die Hürden, welche die Kassen für einen Vertragsabschluss stellen, sind sehr hoch, was wegen der unleugbaren Existenz einzelner «schwarzer Schafe» auf Arztseite (das sind Ärzte, denen die Gewinnmaximierung mehr am Herzen liegt als das Patientenwohl) zum Teil verständlich ist. Nichtakzeptabel ist aber der enorme Dokumentationsaufwand, der den SAPV-Teams auferlegt wird, mit der Folge, dass mehr Zeit am Schreibtisch verbracht werden muss als beim Patienten.
2. Besonders unangenehm ist der ständige Kampf mit den Krankenkassen, die dazu
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