Über das Sterben
hilfreicher als ein permanentes Wegschauen und «So-tun-als-ob». Solange die Voraussetzungen für einenlegalen und finanziell verkraftbaren Einsatz ausländischer Pflegekräfte nicht geschaffen werden, wird die Schwarzarbeit (und mit ihr Auswüchse wie Ausbeutung durch dubiose Mittelsmänner, Misshandlungen auf beiden Seiten usw.) weiter florieren.
Palliativstationen und Hospize
Diese spielen als Sterbeorte rein statistisch nur eine untergeordnete Rolle (derzeit zwei bis vier Prozent der Sterbefälle). Warum dies so ist, und auch gut so ist, wird im folgenden Kapitel deutlich, in welchem die Strukturen der Sterbebegleitung in Deutschland und ihre gegenseitige Verzahnung dargestellt werden.
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Strukturen der Sterbebegleitung
Was brauchen die Menschen am Lebensende? Die Antwort «Liebe und Zuwendung» wäre zu einfach – das braucht jeder Mensch zeit seines Lebens, und zwar nicht erst ab der Geburt, sondern, wie die neuesten Forschungen zeigen, auch schon vorher. Und doch ist diese Antwort nicht falsch. Gefragt nach ihren Vorstellungen für das Lebensende, antworten die Menschen im Wesentlichen mit zwei Wünschen: Schmerzfreiheit und Geborgenheit. Dabei steht der Begriff der «Schmerzfreiheit» stellvertretend für den Wunsch nach Linderung von Leiden – nicht nur physischer Natur. Unter «Geborgenheit» verstehen die meisten Menschen das Eingebettet-Sein in ein soziales System, das sie als Individuum mit ihrer unverwechselbaren Identität und Würde bis zum Tod akzeptiert und respektiert. Für viele Menschen hat der Begriff «Geborgenheit» auch die Konnotation des Sich-geborgen-Fühlens in einem die eigene Person und die sichtbare Welt transzendierenden Sinnzusammenhang, der mit religiösen Begriffen beschrieben werden kann, aber nicht muss.
Die psychosoziale Geborgenheit setzt im Idealfall eine intakte Familienstruktur voraus. Diese ist aber in den letzten Jahrzehnten aus mehreren Gründen immer seltener geworden: Eheschließungen sind rückläufig, Scheidungen nehmen zu, Partnerschaften auf Zeit werden immer häufiger. Das ist keine moralische Wertung, sondern eine nüchterne statistische Feststellung. Die schon beschriebene Folge ist, dass – insbesonderein den städtischen Ballungsräumen – Single-Haushalte immer mehr zur Regel werden. Das hat auch Folgen für die Strukturen der Sterbebegleitung, die mit der sozialen Vereinsamung vieler Hochbetagter zurechtkommen müssen. Im Folgenden werden die wichtigsten Säulen der professionellen und ehrenamtlichen Sterbebegleitung in Deutschland vorgestellt.
Niedergelassene Ärzte
Manchen wird es vielleicht überraschen: Dies ist und wird, auch in Deutschland, die wichtigste Säule der Sterbebegleitung bleiben. Ohne die niedergelassenen Ärzte, insbesondere die Haus- und Allgemeinärzte, geht gar nichts. Wie schon ausgeführt, sollten in einem einwandfrei funktionierenden Gesundheitssystem über 90 Prozent der Sterbenden gut begleitet und mit guter Symptomlinderung sterben können, ohne jemals einen Palliativmediziner zu Gesicht zu bekommen. Dies setzt voraus, dass die entsprechenden Kenntnisse im Studium und in der Facharztausbildung erworben werden.
Haus- und Allgemeinärzte haben eine zentrale Rolle im Gesundheitswesen inne, die in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter zunehmen wird. Sie garantieren eine Kontinuität der Betreuung über Jahre, manchmal Jahrzehnte, und nicht selten über Generationen hinweg. Gerade wenn man an die soziale Komponente des Sterbens denkt (siehe Kapitel 4c), wird die Bedeutung des Hausarztes, der im englischen Sprachraum die schöne Bezeichnung
family doctor
[ 1 ] trägt, deutlich.
Die Hausärzte beginnen inzwischen, die Wichtigkeit ihrer Aufgabe am Lebensende ernst zu nehmen und auch konsequenteine Verbesserung der strukturellen Voraussetzungen einzufordern. Solange für den Hausbesuch eines Allgemeinarztes im Schnitt ca. 18 Euro vergütet werden, braucht man sich nicht zu wundern, wenn nur äußerst engagierte und idealistische Ärzte bereit sind, die physischen, emotionalen und logistischen Strapazen einer guten häuslichen Sterbebegleitung auf sich zu nehmen.
Etwas anders verhält es sich mit den Fachärzten. Diese leben in Deutschland einträglich von der zum Teil relativ hohen Vergütung spezialisierter, vor allem technischer Leistungen (Herzkatheter bei den Kardiologen, Organspiegelungen aller Art bei den Gastroenterologen usw.). Die Konzentration auf das jeweilige Organ, die typisch für das deutsche
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