Über das Sterben
die Selbsttötung erwägen und sich sogar an entsprechende Sterbehilfe-Organisationen im Ausland wenden, um diesem Schicksal zu entgehen. Dabei gibt es auch hier, wie bei den Krankenhäusern, eine große Spannbreite in puncto Qualität, auch im Hinblick auf die Sterbebegleitung. Die Robert-Bosch-Stiftung hat in den letzten Jahren ein Schulungsprogramm zur Einführung von palliativer Praxis in Alten- und Pflegeheimen aufgelegt, das immer weitere Verbreitung findet ( www.bosch-stiftung.de ). Die Nachfrage nach der Art und Weise der Umsetzung des Palliativgedankens im Haus sollte bei der Auswahl eines Pflegeheims eine wichtige Rolle spielen, tut sie aber in der Praxis nicht. Das ist insofernverwunderlich, als die allermeisten Bewohner eines Pflegeheims dort auch sterben werden, und zwar bald: Im Durchschnitt innerhalb von etwas mehr als einem Jahr. Damit ist die Aufnahme in ein Pflegeheim mit einer schlechteren Prognose versehen als selbst hoch bösartige Tumore wie der Bauchspeicheldrüsenkrebs – ein Umstand, der zu denken geben sollte.
Abbildung 2.2: Abschiedsräume in deutschen Krankenhäusern
«Raum der Stille» auf der Palliativstation im Interdisziplinären Zentrum für Palliativmedizin des Klinikums der Universität München. Der Raum ist überkonfessionell angelegt und kann mit verschiedenen Farben beleuchtet werden. Religiöse Symbole wie das Kreuz können auf Wunsch mittels Lichtprojektion dazukommen (Gesamtkonzept: Barbara Eble-Graebener, Tübingen).
«Raum der Stille» im Städtischen Klinikum Frankfurt/Hoechst (Gestaltung: Madeleine Dietz, Landau).
Die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft wird sich auch daran messen lassen, wie sie mit ihren schwächsten und hilfsbedürftigsten Mitgliedern umgeht. Dazu gehören an erster Stelle pflegebedürftige Hochbetagte. Die Tatsache, dass jeder von uns eine nicht geringe Chance besitzt, selbst irgendwann zu diesem Personenkreis zu gehören, wird derzeit flächendeckend verdrängt – anders kann man sich die Vernachlässigung der Menschen in vielen dieser Institutionen, aber auch die zum Teil menschenverachtenden Bedingungen, unter denen in Altersheimen gearbeitet und gepflegt werden muss, nicht erklären. Wenn sich daran nicht grundlegend etwas ändert, wird irgendwann das Stichwort des «sozialverträglichen Frühablebens» uns alle viel direkter betreffen, als wir derzeit zu denken wagen.
Zu Hause
Wie schon gesagt, ist das der Ort, an dem die allermeisten Menschen sterben möchten. Das scheitert in der Regel vor allem an einem unzureichenden sozialen, sprich familiären Umfeld. Hier zeigen sich große Unterschiede zwischen städtischen Ballungsräumen und ländlichen Gegenden. Während in einer Großstadt wie Berlin inzwischen die meisten Haushalte Single-Haushalte sind, sind die Familienstrukturen aufdem Land vielerorts noch weitgehend intakt. Die Vorteile der Mehr-Generationen-Hausgemeinschaft werden plötzlich wieder aktuell – aber dazu müssten die Generationen erst einmal generiert werden (siehe die erwähnte demographische Urne). Mangels (Kinder-)Masse wird also intensiv und ernsthaft über Alternativen nachgedacht, wie zum Beispiel Alters-Wohngemeinschaften, die noch vor wenigen Jahren als Spinnereien abgetan worden wären. Die Richtung ist völlig richtig, der Teufel steckt zwar wie immer im Detail, aber ein Hoffnungsschimmer sind diese Entwicklungen allemal.
Auch wer sich über eine intakte und liebevolle Familie freuen kann, muss dennoch einiges beachten, wenn er seine Chancen auf ein Sterben zu Hause maximieren möchte. Dazu gehört die Tatsache, dass die Versorgungsstrukturen auf dem Land, wozu auch die Vororte großer Städte zählen, in der Regel deutlich schlechter sind als im Stadtgebiet selbst. Das gilt auch für die Pflege Hochbetagter und ist einer der Gründe für das in den letzten Jahren verstärkt zu beobachtende Phänomen der Re-Urbanisierung. Vor allem wohlhabende Menschen verlassen das Häuschen mit Garten im hübschen Vorort und ziehen, nachdem die Kinder (so vorhanden) das Haus verlassen haben, zurück in die Stadt, in ein deutlich kleineres Apartment, aber mit der Sicherheit eines guten Versorgungsnetzes.
Dass trotzdem die Pflege alter und schwerstkranker Menschen zu Hause oft nur durch den Einsatz von halb- bis illegal arbeitenden Pflegekräften aus dem Ausland möglich ist, ist ein bekannter und mittlerweile als chronisch zu bezeichnender Missstand. Auch hier wäre eine Anerkennung der Realität durch die Politik
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