Über das Sterben
Alterspyramide in Deutschland im Jahr 2050.
Auch die weniger Geometriebegabten, einschließlich des Verfassers dieser Zeilen, erkennen sofort, dass diese Altersverteilung mit einer Pyramide wenig gemein hat: Es fehlt die Basis. Es fehlen die nicht gezeugten Kinder, und diese lassen sich auch nicht «nach»zeugen, sondern sind einfach nicht da.Deutschland liegt mit seiner Geburtenrate seit Jahren
weltweit
am untersten Ende.[ 1 ] Ein Demograph hat deswegen die Generation der heute 40–50-Jährigen als den größten Zeugungs-Rohrkrepierer der deutschen Geschichte bezeichnet. Die Folgen werden wir alle noch zu spüren bekommen.
Mit ihrem fachspezifischen Humor haben die Demographie-Forscher auch die zukünftige Form der Altersverteilung umbenannt: Sie sprechen nicht mehr von «Pyramide», sondern von der «Urnenform». Das ist insofern interessant, als für viele von uns das Jahr 2050 einen Zeitpunkt markiert, um welchen herum wir uns von der abgebildeten Urne in die nächste Urne werden verabschieden müssen. Womit wir wieder beim Thema wären. Schauen wir uns die in Frage stehenden Sterbeorte etwas näher an.
Krankenhäuser
Die meisten Todesfälle ereignen sich in Krankenhäusern. Daran wird sich auch auf absehbare Zeit wenig ändern, wenngleich mit der Einführung der sogenannten «Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung» (SAPV, siehe Kapitel 3) ein wichtiger Schritt getan wurde, um möglichst vielen Schwerstkranken ein Sterben zu Hause zu ermöglichen. Deutsche Krankenhäuser haben im internationalen Vergleich einen sehr guten Ruf, die Qualität der medizinischen Versorgung gehört anhand der verfügbaren Statistiken zu den besten der Welt (das wird in Deutschland gerne vergessen). Allerdings beziehen sich diese Statistiken auf objektive Parameter wie beispielsweise Säuglingssterblichkeit oder Sterberate nach Operationen. Die Qualität der Betreuung Sterbender ist dabei nicht berücksichtigt.[ 2 ]
Tatsache ist, dass in deutschen Krankenhäusern ein sterbender Mensch immer noch häufig als eine Art «Betriebsstörung» gesehen wird, derer man sich am liebsten möglichst bald entledigen möchte. Im schlimmsten Fall steht der Sterbende als «negativer Kostenfaktor» da, und der Druck, ihn woandershin zu verlegen, um Kosten zu sparen, ist mitunter gewaltig. Die Häufigkeit und Dauer der Visiten verringern sich, und nach dem Tod wird der Leichnam nicht selten ganz rasch in einen Kellerraum überführt, ohne dass ein würdiges Abschiednehmen seitens der Angehörigen möglich ist – das Bett wird ja schließlich gebraucht.
Glücklicherweise findet in immer mehr Krankenhäusern mittlerweile ein Umdenken statt, auch dank der Zunahme palliativmedizinischer Einrichtungen. Allmählich entsteht eine neue Kultur der Abschiedsräume, in denen Angehörige und Freunde sich auf gute Art und Weise vom Verstorbenen verabschieden können. Zwei Beispiele solcher «Räume der Stille», wie sie oft genannt werden, sind in Abbildung 2.2 dargestellt.
Intensivstationen
Ein hoher Anteil der Sterbefälle findet auf Intensivstationen statt. Hier ist die Diskrepanz zwischen heilungsorientiertem (kurativem) und sterbebegleitendem Ansatz besonders groß. Die Fortschritte der modernen Intensivmedizin haben vielen Menschen das Leben gerettet. Trotzdem hat die Vorstellung, auf einer Intensivstation sterben zu müssen, für die meisten Menschen etwas Furchterregendes. Die einzigen Menschen, die bei der Frage nach ihrem gewünschten Sterbeort die Intensivstation angeben, sind bezeichnenderweise selbst Intensivmediziner.Und tatsächlich, auch wenn dies paradox erscheinen mag, hat das Sterben auf einer Intensivstation nicht nur Nachteile. Die medizinische Versorgung und die Möglichkeiten zur Schmerzlinderung sind hervorragend, zumal Intensivärzte keine Scheu vor dem Einsatz von Morphin und anderen starken Schmerzmitteln haben. Allerdings sind die Räumlichkeiten auf einer Intensivstation meist nicht gut für eine Sterbebegleitung geeignet. Außerdem fehlt gelegentlich bei den Intensivärzten – mangels entsprechender Ausbildung – das Gefühl für den Zeitpunkt, von dem an jeder weitere Versuch der Lebensverlängerung sinnlos ist und eine Umstellung auf ausschließlich palliativmedizinische Maßnahmen geboten wäre (siehe Kapitel 7). Aber auch hier setzt langsam ein Umdenken ein.
Pflegeheime
Die Vorstellung, das eigene Leben als «Pflegefall» im Heim beenden zu müssen, ist für viele Menschen so schrecklich, dass sie ernsthaft
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