Über das Sterben
Medizinern besteht in beruflicher Hinsicht ein Kommunikationsdefizit. Wenige Menschen haben die Fähigkeit zum aktiven Zuhören – bei Ärzten wirkt sich dies allerdings unmittelbar negativ auf die Wahrnehmung der Bedürfnisse ihrer Patienten aus. Fast jeder Mensch, der selbst oderals Angehöriger wegen einer auch nur mittelschweren Erkrankung in ärztlicher Behandlung gewesen ist, kann über entsprechende Erfahrungen berichten. Eine Patientin, die eine geschlagene Stunde lang entkleidet auf einer Liege auf ihre Chefarzt-Untersuchung warten musste und anschließend mit einem «Bikini-kurzen» Gespräch abgespeist wurde, bat öffentlich im
Deutschen Ärzteblatt
wenigstens um die «Würde eines Schnitzels».[ 2 ]
Wissenschaftliche Untersuchungen zur Qualität der Arzt-Patienten-Kommunikation haben interessante Einblicke in die Gründe für die Arzt- bzw. die Patientenzufriedenheit nach einem Gespräch ermöglicht. So sind Ärzte – auch wegen des gefühlten juristischen Drucks der Aufklärungspflicht – in der Regel zufrieden, wenn sie den Eindruck haben, alle notwendigen Informationen losgeworden zu sein. Das führt dazu, dass komplizierte medizinische Sachverhalte ausführlich erläutert werden – allerdings in einer Sprache, die für die meisten Patienten unverständlich ist, und mit einem Gesprächsanteil des Arztes von über 80 Prozent. Zur Zufriedenheit der Ärzte treten Nachfragen in solchen Gesprächen selten auf. Das hat vor allem zwei Gründe: Zum einen signalisieren Ärzte mit ihrer Körpersprache, dass solche Nachfragen unerwünscht sind, und zum anderen muss der Patient, um konkret nachfragen zu können, wenigstens einigermaßen verstanden haben, worum es geht.
Den meisten Ärzten ist dies nicht bewusst, und so zeigen sie sich verwundert, wenn man ihnen mitteilt, dass Patienten mit solchen Gesprächen überhaupt nicht zufrieden sind. Die Zufriedenheit der Patienten hängt dabei direkt mit der Höhe ihres eigenen Gesprächsanteils zusammen, der idealerweise größer sein sollte als der des Arztes. Die zentralen Qualitätsmerkmaleeines Arzt-Patienten-Gesprächs sind aus Sicht der Patienten: eine klare, verständliche Sprache, Zeit zum Aufnehmen des Gesagten, ausreichend Gelegenheit für Nachfragen, eine große Fähigkeit zum Zuhören und vor allem die erlebte Empathie des Arztes. Wie aber bringt man Medizinstudenten Empathie bei?
Medizinunterricht einmal anders
An der Universität München wurde im Jahr 2008 das Wahlpflichtseminar «Leben im Angesicht des Todes» eingeführt. Dieses Seminar wurde für Studenten entwickelt, die sich für die Palliativmedizin interessieren und sich mit der Frage der Endlichkeit des Lebens und der Bedeutung dieser Reflexion für die eigene ärztliche Praxis intensiver beschäftigen möchten. Kernpunkt des Seminars ist die Begegnung mit Palliativpatienten (sowohl aus der Erwachsenen- wie auch aus der Kinderpalliativmedizin), nach Möglichkeit mindestens einmal auch im häuslichen Umfeld. Diese Begegnungen werden von erfahrenen klinischen Tutoren begleitet. Aufgabe der Studierenden ist es dabei keineswegs, Informationen über den Patienten zu sammeln oder Untersuchungstechniken einzuüben. Vielmehr sollen sie ausschließlich die Erfahrung eines Menschen bzw. einer Familie, die im Angesicht des Todes lebt, auf sich wirken lassen. Die individuellen Erfahrungen werden in gemeinsamen Seminaren mit den Schwerpunkten Spiritualität, Lebenssinn und psychosoziale Begleitung vertieft. Die Teilnahme ist auf zwölf Studierende begrenzt, um eine möglichst individuelle Betreuung zu gewährleisten.
Das Seminar wurde von den Studenten sehr positiv bewertet, vor allem im Hinblick auf seine Bedeutung für ihrzukünftiges Selbstverständnis als Arzt. Ein Student schrieb uns nach dem Kurs: «Das Seminar ‹Leben im Angesicht des Todes› war zweifelsohne die sinnvollste Erfahrung in meinem Studium!» Aus den Rückmeldungen der teilnehmenden Patienten und ihrer Angehörigen ergab sich zudem in vielen Fällen, dass die Teilnahme am Seminar auch für sie einen positiven Effekt hatte: Sie hofften, dass die Weitergabe ihrer Erfahrungen aus den jungen Studierenden bessere Ärzte machen und damit anderen Patienten in der Zukunft helfen könnte.
Fürsorge durch Aufklärung
Wenn die Diskussion auf das Thema Lebensende kommt, ist viel von ärztlicher Fürsorge die Rede. Manche verwechseln allerdings Fürsorge mit Paternalismus (Bevormundung, siehe Kapitel 9), was nicht hilfreich ist. Fürsorge
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