Über das Sterben
1967 gegründeten ersten modernen Hospiz der Welt, dem St. Christopher’s Hospice in London, von vornherein multiprofessionell angelegt. Die verschiedenen Berufsgruppen begegneten einander auf Augenhöhe (auch das hat sich noch lange nicht überall in der Medizin durchgesetzt).
Dieser Art der Teamarbeit hat allerdings nicht nur Vorteile. Der kanadische Arzt Balfour Mount, der den Begriff «Palliativmedizin» aus der Taufe hob, pflegte zu sagen: «So you worked in teams? Show me your scars.» («Ihr habt also in Teams gearbeitet? Zeigt mir eure Narben.») Multiprofessionelle Kommunikation muss eingeübt und immer wieder von Neuem gegen althergebrachte Abgrenzungstendenzen verteidigt werden. Das ist besonders dann schwierig, wenn Palliativbetreuung innerhalb von Strukturen stattfindet, die noch stark durch hierarchische Kommunikationsmuster geprägt sind wie etwa Universitätskrankenhäuser. Außerdem gibt es in den verschiedenen Berufsgruppen unterschiedliche Kulturen und unterschiedliche Sprachen, die mit viel Geduld auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden müssen.
Die Tatsache, dass auf einer Palliativstation nicht nur Ärzte und Pflegende «auf Visite» gehen, sondern auch Sozialarbeiter, Psychologen und sogar Seelsorger, sorgt immer noch für Naserümpfen im Rest des jeweiligen Krankenhauses – aber langsam beginnen sich auch dort die Vorteile dieses neuen Ansatzes durchzusetzen. Darunter zählen vor allem die Verbesserung des Informationsflusses und des Gefühls der Geborgenheit bei Patienten und Familien. Diese fühlen sich inihrer Ganzheit als Menschen viel eher akzeptiert, wenn alle Aspekte ihres Gesundheitszustandes (physisch, psychosozial und spirituell) betrachtet werden, und zwar gemeinsam und nicht getrennt voneinander. Ebenfalls wird als sehr hilfreich empfunden, dass die Visite auf einer Palliativstation grundsätzlich so abläuft, dass alle Anwesenden sich um das Krankenbett herum setzen und so tatsächlich «auf Augenhöhe» mit dem Patienten kommunizieren können. Dies könnte ebenfalls ein gutes Modell für andere klinische Fächer sein.
Kommunikation bei eingeschränkter Bewusstseinslage
Wir leben in einer Welt, die – vordergründig – sehr viel Wert auf verbale Kommunikation legt. Damit werden wir regelrecht bombardiert, durch Zeitungen, Radio, Fernsehen, Internet und andere Massenmedien. Auf der anderen Seite sagen uns die Kommunikationsforscher, dass gerade in schwierigen Situationen die emotionalen und körpersprachlichen (nonverbalen) Kommunikationsanteile mit Abstand die bedeutendsten sind und wesentlich länger erinnert werden.
Dies deckt sich mit den Erfahrungen in der ärztlichen Praxis: Welche faktischen Inhalte ein Aufklärungsgespräch über eine schwere Krankheit hatte, vergessen Patienten und Angehörige innerhalb relativ kurzer Zeit – trotz der grundlegenden Bedeutung dieser Informationen, deren sie sich auch voll bewusst sind. Diese Informationen müssen deshalb bei jedem neuen Besuch vom Arzt wiederholt bzw. vom Patienten nachgefragt werden. Aber ob der Arzt empathisch oder abweisend war, ob er sich Zeit genommen hat oder den Eindruck vermittelte, ständig «auf dem Sprung» zu sein, ob er zuhörenkonnte oder nicht – das erinnern die Betroffenen noch nach Jahrzehnten.
Diese Information ist besonders wichtig, um die Bedeutung der nonverbalen Kommunikation bei Patienten in reduzierten Bewusstseinszuständen (fortgeschrittene Demenz, Koma) korrekt einzuschätzen. Um es gleich zu sagen: Diese Bedeutung kann gar nicht überschätzt werden. Bei Demenzpatienten hat die Forschung, hier vor allem die Pflegeforschung, schon lange festgestellt, dass zwar höhere Hirnleistungen wie Gedächtnis und Sprache massiv beeinträchtigt sind – die Fähigkeit zu emotionalem Ausdruck und nonverbaler Kommunikation ist dafür eher noch gesteigert. Die Wiener Palliativgeriaterin Dr. Marina Kojer bezeichnete diese Patienten einmal als «Weltmeister der Emotionen». Auf dieser Basis sind auch ausgefeilte Therapie- und Pflegekonzepte für Demenzkranke wie die sogenannte «Validation» nach Naomi Feil entstanden.[ 5 ]
Die Vorstellung, dass eine Kommunikation nicht mehr möglich sei, wenn der Patient nicht mehr in der Lage ist, sich sprachlich zu äußern, ist also grundfalsch. Die Kommunikation läuft nur anders ab, aber nicht minder intensiv. Daher sollten sich Ärzte und Pflegende immer so verhalten, als ob der Patient alles verstünde, was im Raum gesagt wird – das fällt Pflegenden
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