Über das Sterben
erfahrungsgemäß leichter.
Besonders beeindruckend sind in diesem Punkt die Krankenhausseelsorger. Sie lassen sich – zumindest die engagierten unter ihnen – durch einen eingeschränkten Bewusstseinszustand nicht von ihrem Auftrag abhalten, setzen sich ans Bett, nehmen vorsichtig durch Berührung mit dem Patienten Kontakt auf und sind in der Lage, sich in Patienten einzufühlen, von denen die behandelnden Ärzte behaupten: «Da kommtnichts mehr.»[ 6 ] Gerade in schwierigen Situationen bezüglich einer Therapieentscheidung am Lebensende ist das außerordentlich hilfreich: Die Einschätzung der Seelsorger über den Lebenswillen von Patienten, die sie in der Regel nur kurze Zeit kennen, deckt sich mit oft verblüffender Genauigkeit mit derjenigen der engsten Angehörigen. Eine solche Übereinstimmung gibt dem Behandlungsteam eine große Sicherheit, dass die getroffene Entscheidung – wie auch immer sie ausfällt – im Sinne des Patienten ist.
Kommunikation innerhalb der Familie
Der schottische Palliativmediziner Derek Doyle erzählt in seinem bewundernswerten Buch
The Platform Ticket
[ 7 ] einen klassischen Fall:
Der Hausarzt macht einen Hausbesuch bei seinem alten Patienten, den er seit Jahrzehnten kennt, und trifft zunächst auf die besorgte Ehefrau, die ihm die Tür öffnet. Noch bevor er sie begrüßen kann, bestürmt sie ihn im eindringlichen Flüsterton, er dürfe ihrem Mann ja nicht sagen, wie schlimm es um ihn steht. Die Krankenhausärzte hätten ihr «reinen Wein eingeschenkt», sie wisse, dass ihr Mann im Sterben liegt, aber «ihm haben die Krankenhausärzte nichts gesagt, weil ich sie so sehr darum gebeten habe. Er darf ja die Hoffnung nicht verlieren …» Der Hausarzt erwidert nichts und geht nach oben zum Patienten. Die Ehefrau wischt sich vor der Tür die Tränen aus den Augen und zeigt im Zimmer eine betonte Fröhlichkeit, wobei sie mit ihrem Mann sehr liebevoll umgeht. «Der Arzt hat mir gesagt, dass er hofft, dass du bald wieder aufstehen kannst. Das wird schon wieder, nicht wahr?» Der alte Mann im Bett nickt und lächelt.Da klingelt es an der Tür, die Frau muss kurz aus dem Zimmer und wirft beim Hinausgehen dem Arzt einen strengen Blick zu. Sobald sie das Zimmer verlassen hat, flüstert der alte Mann eindringlich dem Arzt zu: «Lieber Herr Doktor, wir kennen uns seit so vielen Jahren, bitte tun Sie mir diesen letzten Gefallen: Sagen Sie meiner Frau nicht, wie es um mich steht. Ich weiß, dass ich bald sterben werde, aber sie würde es nicht ertragen, und ich kann ihr nicht alle Hoffnung nehmen …» Da erzählt ihm der Arzt, dass ihm seine Frau beim Betreten der Wohnung exakt das Gleiche erzählt habe. Der alte Mann beginnt zu weinen, die Ehefrau kommt zurück, sieht das und schreit den Arzt an: «Ich hatte Ihnen verboten, es ihm zu sagen! Oh, Sie unbarmherziger Mensch!» Da unterbricht ihr Mann sie und erzählt ihr, was wirklich passiert ist. Beide fallen sich weinend in die Arme, und der Hausarzt beschließt, dass dies ein guter Moment ist, sich leise zu verabschieden.
Man könnte meinen, dass in der heutigen Zeit, die von Begriffen wie «Autonomie», «mündige Patienten», «partizipatorische Entscheidungsfindung» und dergleichen mehr geprägt ist, solche Konstellationen der Vergangenheit angehören müssten. Weit gefehlt. Dass Partner sich gegenseitig etwas vormachen, um den jeweils anderen zu schützen, ist eine alltägliche Beobachtung in der Sterbebegleitung. Die Motivation ist dabei altruistisch, aber auch unbewusst bevormundend: «Ich weiß, dass es besser ist für meinen Partner, nichts zu wissen, daher verheimliche ich es ihm.» Wenn dieses gekreuzte Schweigen gebrochen wird, kann echte Kommunikation entstehen.
Das größte Hindernis für eine gute Kommunikation ist Angst, gefolgt von Schuldgefühlen. Daher ist es nicht verwunderlich,dass sich die Kommunikation innerhalb der Familien am und über das Lebensende schwierig gestaltet. Umso wichtiger ist es für alle Mitglieder des Betreuungsteams, sorgfältig auf die familiären Kommunikationsstrukturen zu achten, um Ressourcen aufzuspüren, die den einzelnen Betroffenen aufgrund der stressbedingt eingeschränkten Wahrnehmung gar nicht bewusst sind.
b. Medizinische Therapie
Die medizinische Therapie im engeren Sinne ist für eine Palliativbetreuung am Lebensende allein zwar nicht ausreichend, aber unverzichtbar. Denn kein Patient ist in der Lage, Angebote aus dem psychosozialen oder spirituellen Bereich anzunehmen, wenn er an
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