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Über das Sterben

Über das Sterben

Titel: Über das Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gian Domenico Borasio
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quälenden physischen Symptomen leidet. Entgegen einer landläufigen Meinung handelt es sich dabei nicht hauptsächlich um Schmerzen, diese machen nur etwa ein Drittel der physischen Symptome am Lebensende aus. Die restlichen zwei Drittel verteilen sich ungefähr gleich auf internistische Symptome (Atemnot, Übelkeit, Erbrechen usw.) und neuropsychiatrische Symptome (Verwirrtheit, Delir, Depression usw.). Im Folgenden soll anhand von Beispielen dargestellt werden, dass die pharmakologischen und nichtpharmakologischen Möglichkeiten der Symptomkontrolle in der modernen Palliativmedizin inzwischen so ausgereift sind, dass die Menschen keine Angst mehr haben müssen, aufgrund von nicht therapierbaren Symptomen qualvoll zu sterben.
Schmerzen
    Die Schmerztherapie ist der wohl bekannteste Teil der Palliativmedizin, die oft und fälschlicherweise auf eine «Schmerztherapie bei Sterbenden» reduziert wird. Physische Schmerzen sind am Lebensende häufig: Etwa 70 Prozent der Palliativpatienten mit Tumorerkrankungen haben behandlungsbedürftige Schmerzen. Die meisten davon haben mehr als eine Art von Schmerz (das können auch vier, fünf oder mehr verschiedene Schmerzen sein). Dabei ist zu beachten, dass unterschiedliche Schmerzen auf unterschiedliche Medikamente reagieren. Morphin eignet sich zum Beispiel hervorragend für Schmerzen, die durch Druck von Tumormassen im Bauchbereich entstehen, bei Muskelverspannungen im Rücken ist es jedoch fast wirkungslos. Eine gute Krankengymnastik ist hier viel hilfreicher.
    Die bei manchen Ärzten vorhandenen Befürchtungen, dass die Gabe von Morphin oder verwandter Medikamente (sogenannter Opioide) bei Schwerstkranken eine Sucht auslösen oder deren Tod beschleunigen könnte, sind längst von der Wissenschaft widerlegt und dürfen heute kein Grund mehr sein, Patienten eine wirksame Therapie vorzuenthalten. Die Weltgesundheitsorganisation hat ein Drei-Stufen-Schema zur Schmerzbehandlung entwickelt, das inzwischen an allen Universitäten gelehrt wird (Abb. 4.1). Es kann in Einzelfällen allerdings sehr sinnvoll sein, direkt mit der Stufe 3 anzufangen – ein Patient mit stärksten Schmerzen sollte sich nicht durch die ersten zwei Stufen «hindurchleiden» müssen, bis er ein ausreichend wirksames Medikament erhält.
    Bei Schwerstkranken und Sterbenden kommt es nicht selten zum Phänomen des «Durchbruchsschmerzes», das heißtzu plötzlichen Schmerzverstärkungen ohne Vorwarnungen und oft ohne erkennbare Ursachen, worunter die Patienten sehr leiden. Aus diesem Grund ist es zwingend erforderlich, bei jedem Patienten zusätzlich zur Basismedikation, die regelmäßig eingenommen wird, eine rasch wirksame Bedarfsmedikation zu verordnen (bei Morphin ist dies in der Regel ein Sechstel der Gesamttagesdosis), die der Kranke immer bei sich hat und bei Bedarf sofort einnehmen kann.
    Abbildung 4.1: WHO-Stufenschema der Schmerztherapie. Bei den Stufen 2 und 3 sollte immer ein Medikament der Stufe 1 hinzugegeben werden.
    Als Begleitmedikamente bezeichnet man in der Schmerztherapie Substanzen, die zwar für sich selbst genommen keine Schmerzmittel sind, aber die Wirkung von Schmerzmitteln in bestimmten Situationen unterstützen und verstärken können. Dazu zählen unter anderem Steroide (Cortison), Antikonvulsiva (Mittel gegen Epilepsie), Neuroleptika (Medikamente, die das Nervensystem beeinflussen) und Antidepressiva. Der Einsatz dieser Medikamente ist insbesondere bei bestimmten Schmerzformen wie Nervenschmerzen (dem sogenannten «neuropathischen Schmerz») unverzichtbar. Neuropathische Schmerzen entstehen durch direkte Schädigung von Nervenstrukturen und können schwer zu behandeln sein. Für besonders schwierige Fälle stehen spezielle Medikamentezur Verfügung (beispielsweise L-Polamidon, Ketamin), die hoch wirksam sind, deren Handhabung aber in der Regel Palliativmedizinern oder speziell ausgebildeten Schmerztherapeuten überlassen werden sollte.
    Die moderne Schmerztherapie geht von einem biopsychosozialen Schmerzmodell aus, das außer den biologisch-physischen auch die Bedeutung psychosozialer Faktoren für die Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung unterstreicht. Zusätzlich zu den pharmakologischen Möglichkeiten hält die Schmerztherapie daher eine ganze Palette von nichtmedikamentösen Therapien zur Schmerzbekämpfung bereit, etwa die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS), eine Reizstromtherapie mit dem Ziel, die Schmerzweiterleitung zum Gehirn zu verringern, oder spezielle

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