Über das Trinken
»Hildegard-Knef-Gedenk-Gedeck« · Trinken als Sport · Lob des Katers
Wer auf dem Oktoberfest das Glas erhebt, um mit dem Banknachbarn in Kontakt zu treten, sollte allerdings Italienisch und Englisch zumindest in Grundzügen verstehen. Die Wahrscheinlichkeit, auf einen echten Münchner zu treffen, ist in vielen Zelten geringer als die, an eine Neuseeländerin im Dirndl zu geraten.
Die Münchner, die in Wirklichkeit natürlich in Düsseldorf oder Bremen zur Welt gekommen sind, sitzen währenddessen in Schumann’s schöner Bar und lassen sich amerikanische Cocktails bringen, Pils aus Duisburg – oder schottische Single Malt Whiskys, deren Namen sie geübt und fehlerfrei auszusprechen verstehen. Während die Jugendlichen Frankreichs versuchen, Massenbesäufnisse zu organisieren, steht halb Deutschland mit schnalzender Zunge in den Weinkellern des Médoc und plaudert über millesimes und bouquets und darüber, daß die Preise beim Champagner schlimmer steigen als die beim Benzin, seit die Chinesen soviel davon nehmen –
so wie die Chinesen, wie jeder weiß, ja auch nicht davor zurückschrecken, einen Pomerol von 1928 auf ex runterzukippen, wenn der Chef einen Toast ausbringt …
Das Streben nach Weltläufigkeit dient der Verfeinerung der Sitten; die Globalisierung aber, gerade die gefühlte, ruiniert sie. Was soll man also tun? Hat es überhaupt noch Sinn, sich mit Etikette und Etiketten zu befassen? Was nützt es, sich in die Crémants de Bourgogne einzuarbeiten, wenn die besseren Alternativen zum Champagner demnächst aus England kommen werden, sofern der Klimawandel hält, was er verspricht?
Auch im Trinken herrscht die Postmoderne, das große anything goes : Die Sitten lockern sich, die Konventionen geraten in Vergessenheit, die Herren tragen braune Schuhe am Abend, die Damen trinken Rotwein zum Fisch oder Wodka zum Weißwein, und die mißratenen Kinder kippen an ihren Tankstellen ohnehin das sonderbarste Zeug.
Aber nur kleingeistige Kulturpessimisten geraten darüber ins Jammern. Die heiligsten Traditionen sind im Zweifel ohnehin meistens noch erstaunlich jung. Die Ansicht, daß der Wein zum Essen passen muß, ist noch nicht viel älter als hundert Jahre. Genauso steht es um das Pils. Der Deutschen Lieblingsbier ist es übrigens sogar erst seit den Sechzigern. Erinnert sich dagegen noch irgendwer an den Geschmack von Export? Irgendwer, der jünger ist als fünfzig?
So ist das Abendland am Untergehen, seit es besteht. Und die Kultur verfällt seit dem Anbeginn aller Zeiten. Es ist nicht auszuschließen, daß es in fünfzig, sechzig Jahren liebevoll gestaltete Bücher geben wird (oder wie auch immer die Dinger dann heißen werden), die der Kultur der Alkopops gewidmet sind, den stilvollsten Vorstadt-Tankstellen, den legendärsten Koma-Säufern. Und natürlich wird das dann einen heftigen Stich ins Nostalgische haben, so wie heute die klassischen Cocktail-Bars, die ja auch immer einen Hauch von Tanzschule an sich haben.
Aber das Schöne an kulturellen Verfallsphasen, selbst wenn es nur gefühlte sind, das ist die Lässigkeit, die dann einkehrt. Während es prätentiös oder peinlich oder einfach nur dumm wäre, in einer Kneipe Cocktails zu bestellen, ist es überhaupt kein Problem, in einer Cocktail-Bar nur Bier zu trinken. Oder Wein. Underdressing ist jedenfalls immer besser als sein Gegenteil, natürlich auch beim Trinken.
Und schon die Entscheidung zwischen Wein und Bier ist ja schwer genug.
Babylon war Bier. Griechenland kannte nur Wein. Entsprechend sind die jeweiligen Mythen entweder auf das eine oder das andere Getränk fixiert. In Ägypten gab es beides, und da zeichnet sich schon ab, was im Grunde bis heute gilt: Wein gehört zum Prestige der Oberschichten, Bier ist Nährstoff für die Massen.
Der nutritive Wert ist tatsächlich der prägnanteste Unterschied. Wein trinkt man zum Essen. Bier geht auch stattdessen. Sechs Bier sind ein Schnitzel, heißt es nicht ohne Grund. Tatsächlich kann Bier eine Mahlzeit komplett ersetzen, obwohl es natürlich auch Weine gibt, gewisse Chardonnays aus Südafrika zum Beispiel, die den Eindruck machen, daß sie eher zum Reinbeißen da sind als zum Trinken. Aber das liegt, soweit ich weiß, nur an dem vielen Holz, das da drin ist.
Unter unsicheren Charakteren, Ranschmeißern und ahnungslosen Deppen ist deshalb irgendwann die Formel »abc« in Mode gekommen – all but Chardonnay .
Ich persönlich finde das wundervoll. Nicht weil ich das genauso
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