Über das Trinken
sähe, im Gegenteil, aber es zeigt das ganze prachtvolle Schnepfentum, das es beim Weintrinken gibt, eben die Unsicherheiten, Idiotien, Ranschmeißereien, das Stammtischniveau, auf dem Gehörtes nachgeplappert wird; und es zeigt, daß es beim Weintrinken vor allem darauf ankommt, den richtigen Leuten nachzuplappern.
Gerade beim Wein ist nicht nur das Trinken, sondern auch das Schmecken ein sozialer Akt. Manche sagen, es sei sogar eine soziale Konstruktion. Denn in Blindtests, heißt es, bevorzugten regelmäßig Kenner wie Laien billigere Weine. Das heißt aber eben nicht, daß teurere Weine nicht trotzdem besser wären als billigere. Sie sind eben komplexer und weniger süffig. Wenn es Blindverkostungen
für Musik gäbe, würden auch Wagner-Fans Udo Jürgens den Vorzug geben. Deshalb soll man auch nicht blind irgend etwas trinken, sondern mit allen Sinnen, die man zur Verfügung hat. Deshalb ist das ganze Brimborium rund um den Wein so zu begrüßen: Das alles fördert die ästhetische Qualifizierung, die Verfeinerung des Sensoriums. Und deshalb ist im Grunde auch ausnahmslos alles großartig, was im Tonfall der avancierten Sommeliers-Lyrik über Wein so gesagt wird. Nicht weil es so klug oder so richtig wäre, sondern weil es überhaupt gesagt wird. Weil das einer der ganz wenigen Bereiche ist, in denen die Leute wenigstens noch versuchen, das ästhetische Erlebnis und die sinnliche Erfahrung in adäquate Worte zu fassen. Das kann auf grandiose, tatsächlich an der Grenze zur Poesie sich bewegende Momente hinauslaufen.
Hüpfen wollte ich vor Freude, als in einem Weinladen einmal eine Frau über Löschpapier-Noten sprach, feine Anklänge an Katzenfutter und einen Hauch von abgefahrenen Reifen. Sie strahlte dabei, fand das gut, freute sich, die richtigen Worte gefunden zu haben, und wollte die betreffenden Flaschen eigentlich kaufen. Der Weinhändler schmiß sie aber vorher aus dem Laden, weil er das Gefühl hatte, sie vergrault ihm die Kundschaft.
Das gehobene Weinkennertum ist der schlagende Beweis, wie man einen eher prosaischen Sachverhalt – vergorene Trauben, Alkohol – ästhetisch so weit überhöhen
kann, daß man ihn praktisch zum Verschwinden bringt damit. Ab einem gewissen Preis- und Kulturniveau ist der Wein kein alkoholisches Rauschmittel mehr. Der Alkohol begegnet einem in der Sprache der Sommeliers dann nur noch als »Hitze«, die sich mit den Jahren noch verliere. Im Idealfall ist der Alkohol »schön eingebunden« – und zwar in tanninreiche Strukturen aus Kultur, Tradition, Prestige und irrsinnig hohe Preise.
Dabei kann man theoretisch auch mit einem Château Margaux binge drinking betreiben. Und praktisch ist das bei Flaschenpreisen um 1500 Euro ja auch nur eine Frage des Geldes.
Es ist die tragische Lebenslüge der Weinfreunde, Weinkenner, Weinsammler und Weinsnobs, daß sie durch Verfeinerung des Geschmacks und der Sitten sämtlicher Risiken und Trübnisse des gemeinen Alkoholkonsums irgendwie enthoben wären.
Ein wenig erschütternd war jedenfalls neulich diese hier im Wortlaut zitierte Anzeige auf Ebay:
»Ich verkaufe einen Liebherr WKR 2976/24 Grand Cru Weinklimaschrank/Weinkühlschrank, bordeauxrot. Der Schrank ist 6 Jahre und 8 Monate alt. Da ich meinen Weinkonsum einschränken mußte, verkaufe ich ihn nun schweren Herzens. Der Schrank war bis gestern noch im Gebrauch und funktioniert einwandfrei.«
Man kann sich ungefähr ausmalen, was der Arzt, bei dem der Mann tags zuvor gewesen sein dürfte, Drastisches
gesagt haben wird. Mit so richtig gutem Gewissen kaufen kann man so ein Ding dann irgendwie nicht.
Es gibt Brauereien, die haben eine wesentlich längere Tradition und Geschichte als die ältesten Weingüter. Und es gibt Bierexperten, die können blumiger daherreden als jeder Sommelier. Das Schöne am Bier ist, daß man es im allgemeinen aber nicht macht. Das Schöne am Bier ist, daß es so gut, so fein, so uralt und kulturvoll und trotzdem so unkompliziert ist. Abgesehen von Belgien, wo ein Bier auch eine Limonade oder sonstwas sein kann, ist ein Bier fast überall auf der Welt erkennbar ein Bier. Und überall auf der Welt ist eine Flasche Bier das Beste, was man trinken kann, wenn einem die Gastgeber mit dubiosen Schnäpsen ankommen und auch das Wasser nicht geheuer ist.
Das beantwortet im Grunde auch schon die nach »Wein oder Bier« zweitgrundsätzlichste Fragen, nämlich die nach Glas oder Flasche.
Die Flasche ist zum Festhalten da, die Flasche ist ein
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