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Über das Trinken

Über das Trinken

Titel: Über das Trinken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Richter
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Mittel gegen die Angst, Signal der Unverbindlichkeit und Zeichen grundsätzlichen Mißtrauens. Daher ideal für das Nachtleben, für Clubs, aber auch für Ausstellungseröffnungen. Die Flasche ist Wappnung und Waffe. Und es ist insofern auch kein Wunder, daß ausgerechnet das klassische Kreuzberg einen grundsätzlichen Beitrag zur Trinkkultur geleistet hat. Von hier kommt das typische
»Beck’s«-Flaschen-Getrinke, dem in »Herr Lehmann« (Buch wie Film) ein würdiges Denkmal gesetzt wurde. Wir erinnern uns: Der, der in Kreuzberger Kneipen kein »Beck’s« aus der Flasche trinkt, sondern Kristallweizen aus dem Glas  – der ist von Anfang an komisch und erweist sich auch am Ende als Verräter und Feind.
    Diese Lesart ließe sich sogar ausweiten: Der Weizentrinker ist generell der Störenfried, gerade wegen der behäbigen Selbstzufriedenheit, die sich im Weizentrinken ausdrückt, vor allem natürlich in dem endlosen, zeitraubenden Gebaren, das darum veranstaltet wird.
    Folgende, immer wieder auftretende Situation: Ein Biergarten, stechender Durst, vor der Getränkeausgabe eine Schlange, und genau vor einem kommt noch ein gemütlicher Tropf, der vier Hefeweizen haben will. Viermal Flasche aufmachen. Viermal schräg ins Glas pullern lassen. Viermal Flaschen wieder hinlegen. Viermal die Flaschen drehen. Nachgießen. Die Hefe rausschütteln. Alt und grau werden darüber … Das Weizenbierglas hat nicht umsonst so etwas Triumphales, so etwas Fußballweltmeisterschaftspokalartiges an sich: Es symbolisiert den arroganten Triumph über den Durst und die Zeit der anderen.
    Auch alle anderen Gläser sprechen Bände: Natürlich ist es absolut herrlich, in Bayern Bier aus Ein-Liter-Gläsern zu trinken, schon weil das eine geradezu schlaraffenlandartige Unerschöpflichkeit vermittelt. Natürlich
ist es genau besehen aber Unfug, Bier aus Ein-Liter-Gläsern zu trinken, in denen es warm, abgestanden und am Ende schal werden muß. Und natürlich konnten den Österreichern ihre Biergläser vermutlich schon deswegen gar nicht grazil genug sein, um die kulturelle Differenz zu markieren: Ihr Deutschen auch darin grob und massig, wir wie immer klein und fein. Österreicher sind Extremisten der Kleinglasigkeit beim Bier, aber sie haben selbstverständlich absolut recht damit. Wenn man bei Trzesniewski in Wien ein paar Schnittchen ißt, die dort Brötchen heißen, paßt nichts so gut dazu wie ein Bierchen, das dort »Pfiff« heißt und wirklich nicht mehr als eben ein Schluck ist. Ein normales kleines Bier wäre vulgär viel.
    Man sollte, solange man noch kann, Ja sagen zu allen Darreichungsformen österreichischen Bieres, auch und gerade zu den Dosen an den Würstelbuden. Man darf die britischen Pint-Gläser dafür bewundern, daß sie aussehen, als hätte der Glaser beim Fertigen des Randes irgendwie aufstoßen müssen vor lauter Vorfreude. Man muß die heimeligen Dellen in den Maßkrügen Bayerns und den Halbliterhumpen der Restrepublik lieben wie die Körperformen seines Nächsten. Aber auch die klassische Pilstulpe ist herrlich, selbst wenn sie in ihrer biedermeierlichen Rundlichkeit auf ewig daran gemahnt, daß bei faulen Wirten ein gutes Bier angeblich sieben Minuten braucht. Bier ist etwas, das Männern weibliche Formen
verleiht, Rundungen, Schwangerschaftsbäuche, Brüste. Das drückt sich klassischerweise bereits in den Gläsern aus, eine leichte Tulpenform ist das Ideal. Und aus jedem Glas schmeckt es tatsächlich anders. Es herrscht ein fast naturwüchsiger Reichtum der Formen  – und das ästhetisch so tief Befriedigende daran ist, daß alle diese Formen funktional begründet sind, gewissermaßen aus dem Bier und seinem optimalen Genuß heraus erwachsen.
    Unfug sind nur Gläser, die über ihre Form ein Minderwertigkeitsgefühl nach draußen schreien, Unfug sind Biergläser, die lieber Champagnerkelche wären: sogenannte Bierflöten, Gläser, bei denen der Gestalter eine geistige Verwandtschaft zum V.I.P.-Bereich beim Drittliga-Fußball und zu Sportartikel-Werbung auf Hemdkragen ausdrücken wollte, zu den besonders traurigen Varianten des Trash. So etwas kann man in »Bistro’s« mit Lacktischdecken auf den Stehtisch stellen; ernsthaft und mit Würde Bier daraus trinken kann man selbstverständlich nicht.
    Die Vermarktung von Bier als etwas, das einem irgendwie besser, vornehmer, luxurierender vorkommen soll als Bier, ist eine Dummheit, die jeden Tag aufs Neue versucht wird  – und natürlich täglich scheitert. Am

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