Ueber Den Deister
glaubte auf seiner Stirn zu erkennen, wie die Gedanken sich dahinter bewegten.
Erich Falkenberg kam zu einem Entschluss.
»Ich denke, Manfred, du solltest eine Reise nach Schweden machen – aber natürlich nur, wenn du Zeit und Lust dazu hast. Die Polizeidirektion in Hannover lädt dich ein, und wenn du dort bist, könntest du als Gegenleistung bei dem Ferienhaus vorbeischauen, das Volkert gemietet hat. Übrigens, ich habe schon mehrfach versucht, Volkert auf seinem Handy zu erreichen, aber es meldet sich niemand.«
»Als ehemaliger Kollege von Volkert habe ich dafür eigentlich Verständnis, Erich, obwohl mir klar ist, dass das nicht korrekt ist. Ich weiß, wie lästig es früher im Urlaub war, ständig für die Kollegen erreichbar zu sein. Meistens wollten sie nur Informationen, die sie in den Unterlagen im Büro gefunden hätten – aber zu bequem waren, danach zu suchen.«
»Verständlich finde ich es natürlich, dass man im Urlaub ungestört sein will, aber in unserem Beruf ist das eben nicht immer möglich.«
Marder und Falkenberg wussten, dass Kriminalkommissare im Urlaub erreichbar sein mussten, das brachte der Beruf mit sich. Sie wussten auch, dass Volkert das wusste und dass es Grund zur Sorge gab, wenn Volkert seit Tagen sein Telefon nicht beantwortete. Dass Volkert so verliebt in Vera war, dass er sein Handy völlig ignorierte, konnten sie sich nur schwer vorstellen.
»Erich, meinst du nicht, es wäre einfacher, die schwedische Polizei zu bitten, in dem Ferienhaus vorbeizuschauen? Als inoffizielle Amtshilfe sozusagen.«
»Auf welcher Basis denn? Es gibt bisher keinen Verdacht auf ein Verbrechen. Ich befürchte, wir könnten uns furchtbar blamieren, wenn wir sie dorthin schicken, und sie finden zwei Turteltauben im Urlaub, von denen einer ein über die Maßen verliebter Kommissar ist, der sein Handy ausgeschaltet hat. Das könnte die Kollegen in Schweden als Missbrauch der internationalen Kooperation interpretieren. Ich vermute, dass sie dort ebenso unter Personalknappheit leiden wie wir.«
Marder verstand gut, was Falkenberg abhielt, die schwedische Polizei um Hilfe zu bitten. Weil er jedoch befürchtete, dass sich dort etwas Dramatisches oder sogar Tragisches abgespielt hatte, war es sein Wunsch, dass Marder dorthin fuhr.
Aber auch ihm war bei dem Gedanken an seine Mission nicht recht wohl.
»Angenommen, ich entdecke, dass etwas passiert ist, dann kann ich im Ausland – auch wenn es ein freundliches skandinavisches ist – selbst nichts unternehmen.«
»In diesem Fall werden wir selbstverständlich die schwedische Polizei einschalten. Du musst mir nur Bescheid geben, und alles wird dann von meinem Büro ganz offiziell auf den Weg gebracht. Du bist schließlich kein Geheimagent, der sozusagen ›undercover‹ in einem fremden Land herumschnüffelt. Wir sind doch in der EU, wo alles zivilisiert geregelt ist.«
Bevor Marder sich verabschiedete, erwähnte er, dass er von Volkerts Vertreterin in Holzminden, Frau Bistorf-Kuntze, positiv beeindruckt sei. Er wolle und könne sich zwar nicht in die Personalpolitik der Polizei einmischen, schon gar nicht als Ruheständler, aber trotzdem wolle er es gesagt haben. Falkenberg schien nicht überrascht.
»Ja, Frau Bistorf-Kuntze ist mir bereits aufgefallen. Sie ist damals, als Volkert für mehrere Monate in Barsinghausen war, richtig aufgeblüht. Leider kommt sie mit ihm überhaupt nicht zurecht, was ich nicht allein ihr anlasten will. Ich glaube, ich werde sie bald davon erlösen und versetzen. Vielleicht bekommt sie die nächste freie Position als Dienststellenleiter. Die Personalvertretung in unserer Behörde macht ohnehin Druck, mehr Frauen in leitende Jobs zu bringen.«
Eine weitere Umarmung, diesmal mit Karin Falkenberg – die zweite heute, die nicht seiner Frau galt – und Marder machte sich auf den Weg nach Stade. Er fuhr durch den Staub der durstigen Heide, der erst verschwand, als er die Obstwiesen des Alten Landes erreichte, an deren nördlicher Seite seine Heimatstadt lag.
Iris begrüßte ihn wie eine Kapitänsfrau, die auf die Rückkehr ihres Mannes gewartet hatte, während der die Welt umsegelte. Dabei war Marder nur eine Woche weg gewesen. Seit er im Ruhestand war, war seine Frau nicht mehr daran gewöhnt, das Haus für sich allein zu haben. Sie sagte, sie wäre sich darin einsam vorgekommen, was sie früher nie so intensiv empfunden hätte. Für einen kurzen Moment hatte Marder ein schlechtes Gewissen: Während seiner Abwesenheit
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