Ueber Den Deister
hatte er kaum die Gelegenheit gehabt, seine Frau zu vermissen, weil er sich in Gedanken meistens mit Vera Matuschek befasst hatte. Er erzählte seiner Frau, was er inzwischen herausgefunden hatte und dass er nach Schweden reisen müsse.
»Ich habe keine Ahnung, was mich dort erwartet. Deswegen kann ich auch nicht voraussehen, wie lange ich wegbleiben werde.«
»Nach dem, was du mir über Vera Matuschek und Kommissar Volkert erzählt hast, kann ich mir nicht vorstellen, dass es die beiden lange in einem einsamen Haus miteinander aushalten, ohne sich auf die Nerven oder an die Gurgel zu gehen. Du solltest dich auf unangenehme Überraschungen gefasst machen.«
Marder hatte geahnt und befürchtet, dass Iris so etwas sagen würde. Meistens lag sie richtig, wenn es um Freud und Leid in Beziehungen zwischen Männern und Frauen ging, daher musste er es ernst nehmen. Trotzdem wollte er die Hoffnung auf eine undramatische Lösung von Veras Verschwinden nicht aufgeben.
»Einen Tag warte ich noch. Wenn sich Vera oder Volkert bis morgen nicht gemeldet haben, werde ich übermorgen abreisen. Ich befürchte, diese Reise wird kein Vergnügungstrip werden.«
»Wenn du diesen Fall hinter dir hast, solltest du endgültig deine kriminelle Laufbahn beenden, auch wenn du meistens auf der Seite der Guten warst.«
»Was meinst du mit meistens?«
»Das war nur ein schlechter Scherz, so einer, wie du sie gern machst. Ich meine natürlich immer.«
»Er sei dir verziehen. Ich verspreche dir, mein Schatz, das ist mein letzter Einsatz als Kommissar Marder.«
Versprechen kann sich jeder mal, schoss es Marder durch den Sinn, er teilte diese Einsicht natürlich nicht mit seiner Frau.
Am nächsten Morgen lud Marder Iris zum Frühstück in ein Bistro am Fischmarkt in Stade ein. Es war trotz des frühen Morgens warm genug, um im Freien zu sitzen, später würde es zu heiß dafür werden. Ein Seitenkanal der Elbe, der seinen Weg bis in das Herz der Stadt fand, verlieh dem Ortskern eine mediterrane Atmosphäre; die Hektik in der Einkaufszone im Zentrum würde erst in einer Stunde einsetzen. Die Lücken, die der Krieg in die alten Häuserfronten um den Markt am Kanal gerissen hatte, waren mit zeitgemäßen Bauten geschlossen worden, dabei war es den Architekten gelungen, dem Platz seine harmonische Einheit wiederzugeben. In der Mitte des Marktes wurde der Kanal breiter, um dann abrupt unter einer Mauer in einem Tunnel zu verschwinden. Ein buntes Fischerboot schaukelte auf dem Wasser. Marder fragte sich, ob es tatsächlich noch zum Fischen benutzt wurde. Eher nicht, das Boot war in grellen Farben gestrichen, es diente wohl als Dekoration, um das maritime Flair der Stadt zu betonen. Marder liebte diesen Platz, hier kam alles zusammen, was Stade für ihn zu einer lebens- und liebenswerten Stadt machte. Sicher, die Einwohner von Holzminden fühlten für ihre Stadt dasselbe, aber nachdem Marder auf den zentralen Plätzen in beiden Orten gesessen hatte, war er überzeugt, in der schöneren Stadt zu wohnen, vielleicht sogar der schönsten im Norden Deutschlands.
Iris hielt die Hand ihres Mannes unter dem Tisch fest, als wollte sie ihn hindern, so schnell wieder wegzufahren. Ob Vera Matuschek und Volkert in einem Café in Holzminden ebenso Händchen gehalten hatten? Ob sie es im Moment gerade an einem Ort in Schweden taten? Marder konnte es sich nicht vorstellen. Zärtlichkeiten passten nicht in das Bild, das er von den beiden hatte. Ohne es zu sagen, entschuldigte er sich in Gedanken bei seiner Frau, dass er selbst in ihrer Gegenwart seine Grübeleien über Vera Matuschek nicht unterdrücken konnte. Das Rätsel um ihr Verschwinden bedrängte ihn. Er schloss die Augen und versuchte, friedlich und glücklich auszusehen, niemand sollte merken, wie sehr ihn das Schicksal von Vera Matuschek beschäftigte, einer Frau, die ihm nicht einmal sympathisch war. Er legte einen Arm um seine Frau und küsste sie auf die Wange.
Den Nachmittag verbrachte Marder am Telefon. Anja hatte nichts von ihrer Mutter gehört, und bei der Polizei in Holzminden war man nach wie vor ratlos über den Verbleib des Chefs. Bistorf-Kuntze hatte mit Erich Falkenberg gesprochen, der ihr mitteilte, dass die Polizei offiziell nichts unternehmen würde, bis man von Kommissar Marder – Entschuldigung, Kommissar im Ruhestand Marder – aus Schweden höre.
Danach rief Marder die Nummer in Braunschweig an, die ihm Frau Wahlberg gegeben hatte. Ja, man besitze ein Ferienhaus in Schweden,
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