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Über den Fluß und in die Wälder

Über den Fluß und in die Wälder

Titel: Über den Fluß und in die Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Leute abgesetzt hatte. Aber die meisten waren vergnügt, weil sie zur Contessa Dandolo zu Besuch kamen.
    Während sie sich gegen den kalten Wind, der von den Bergen kam, den Kanal hinaufkämpften, und die Häuser so klar und scharf umrissen waren wie an einem Wintertag, der es ja auch war, empfanden sie die alte Magie der Stadt und ihre Schönheit. Für den Colonel jedoch kam die Tatsache hinzu, daß er viele Leute kannte, die in den Palazzos wohnten, oder wenn sie dort nicht mehr wohnten, wußte er doch, welchen Zwecken die verschiedenen Häuser jetzt dienten.
    Das ist das Haus von Alvaritos Mutter, dachte er, aber er sagte es nicht.
    Sie wohnt dort nicht oft und bleibt draußen in ihrem Landhaus bei Treviso, wo es Bäume gibt. Sie hat es satt, daß es in Venedig keine Bäume gibt. Sie hat einen ungewöhnlichen Mann verloren und ist jetzt nur noch an Tüchtigkeit und Erfolg interessiert.
    Früher einmal hatte die Familie dieses Haus George Gordon Lord Byron geliehen, und niemand schläft jetzt in Byrons Bett noch in dem anderen Bett zwei Stockwerke tiefer, wo er mit der Frau des Gondoliere zu schlafen pflegte. Man betrachtet sie weder als Heiligtümer noch als Reliquien. Es sind einfach Extrabetten, die später aus den verschiedensten Gründen nicht benutzt wurden, oder vielleicht doch auch aus Respekt für Lord Byron, der sehr beliebt hier war, trotz all der Fehltritte, die er beging. Man muß schon ein ganz schön harter Bursche sein, um in dieser Stadt beliebt zu sein, dachte der Colonel. Sie haben sich niemals was aus Robert Browning oder Mrs. Robert Browning gemacht noch aus ihrem Hund. Sie waren keine Venezianer, und wenn er noch so schön darüber schrieb. Und was ist ein harter Bursche eigentlich, fragte er sich. Man benutzt den Ausdruck so leichthin; man sollte ihn definieren können. Es ist wohl ein Mann, der sein Spiel plant und dann durchhält, oder einfach ein Mann, der im Spiel durchhält. Ich denke dabei nicht ans Theaterspielen, dachte er. So schön Theater auch sein kann.
    Und dennoch, dachte er, als er die kleine Villa ganz dicht am Wasser erblickte, die so häßlich ist wie ein Haus, das man vom Zug von Le Havre oder Cherbourg aus sieht, wenn man in die Bannmeile von Paris kommt und sich der Stadt nähert. Es war von schlecht gepflegten Bäumen überwuchert und wahrhaftig kein Haus, in dem man leben würde, wenn man es vermeiden konnte. Dort hatte er gelebt.
    Sie hatten ihn wegen seiner Begabung geliebt, und weil er böse war, und weil er mutig war. Mit seinem Talent und seiner Rednergabe hatte er, ein jüdischer Junge und Habenichts, das Land im Sturm genommen. Er hatte einen erbärmlicheren Charakter als irgendwer sonst, den ich kenne, und geizig war er auch. Aber der Mann, an den ich denke und mit dem ich ihn vergleiche, hat niemals etwas riskiert und ist nie im Krieg gewesen, dachte der Colonel, und Gabriele d’Annunzio (ich hab mir immer den Kopf zerbrochen, wie sein richtiger Name wohl war, dachte der Colonel, weil niemand in einem so realistischen Land wie Italien d’Annunzio heißt, und vielleicht war er auch nicht jüdisch, und was für einen Unterschied machte es schon, ob er’s war oder nicht) hatte die Waffengattungen gewechselt wie er die Frauen gewechselt hatte.
    Alle Waffengattungen waren angenehm, bei denen d’Annunzio gewesen war, und seine Mission war leicht und schnell erfüllt bis auf die bei der Infanterie. Er erinnerte sich daran, wie d’Annunzio bei einem Absturz, während er als Beobachter über Triest oder Pola flog, ein Auge verloren hatte, und wie er später immer eine schwarze Binde trug, und die Leute, die es nicht wußten, dachten – denn damals wußte es niemand genau –, daß er es am Veliki oder auf dem San Michele oder irgendeinem anderen scheußlichen Fleck jenseits des Carso verloren hatte, wo alle, die man kannte, fielen oder kriegsuntauglich wurden. Aber d’Annunzio machte wahrhaftig immer nur heroische Gesten mit allem und jedem. Ein Infanterist betreibt ein sonderbares Handwerk, dachte er, vielleicht das allersonderbarste. Er, Gabriele, flog, aber er war kein Flieger. Er war bei der Infanterie, aber er war kein Infanterist; es waren immer nur Gesten.
    Und der Colonel erinnerte sich an das eine Mal, als er dagestanden und einen Zug Sturmtruppen befehligt hatte, während es in einem jener nicht endenden Winter regnete, als der Regen dauernd fiel oder wenigstens immer, wenn Paraden oder Ansprachen an die Truppen stattfanden, und d’Annunzio hatte mit

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