Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Über den Fluß und in die Wälder

Über den Fluß und in die Wälder

Titel: Über den Fluß und in die Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
Vom Netzwerk:
ist, daß wir Venedig niemals beschossen haben, und ihnen zur Ehre, daß sie das zu respektieren wußten.
    Herrgott, wie ich diese Stadt liebe! sagte er, und was bin ich, daß ich damals, als ich ein Knirps war und die Sprache nur ungenügend beherrschte, geholfen habe, sie zu verteidigen. Bis zu jenem klaren Wintertag, als ich nach hinten geschickt wurde, um mir die kleine Wunde verbinden zu lassen, hatte ich sie noch nicht einmal gesehen, und da sah ich sie aus dem Meer aufsteigen. Scheiße, dachte er, in jenem Winter da oben an dem Knotenpunkt haben wir uns sehr gut gehalten. Wenn ich diese Kämpfe nur noch einmal kämpfen könnte, dachte er. Mit dem Wissen, das ich jetzt habe, und den Waffen, die wir jetzt haben. Aber die würden die anderen auch haben, und das wesentliche Problem bleibt das gleiche, bis auf eines, wer die Luft beherrscht.
    Und die ganze Zeit über verfolgte er die kleinen Verkehrsprobleme und beobachtete, wie der Bug des ramponierten, fabelhaft lackierten, mit schmalen, wunderbar polierten Messingbändern versehenen Bootes das braune Wasser durchschnitt.
    Sie kamen unter der weißen Brücke und der unfertigen Holzbrücke durch. Dann ließen sie die rote Brücke rechts liegen und fuhren unter der ersten hochgeschwungenen weißen Brücke hindurch. Dann kam die schwarze Eisenbrücke aus geflochtenem Gitterwerk über dem Kanal, der in den Rio Nuovo mündete, und sie fuhren an den beiden Pfählen vorbei, die aneinandergekettet sind, sich aber nicht berühren – wie wir, dachte der Colonel. Er beobachtete, wie die Flut an ihnen zerrte, und er sah, wie die Ketten, seit er sie zum erstenmal gesehen hatte, das Holz abgescheuert hatten. Das sind wir, dachte er. Das ist unser Denkmal. Und wie viele Denkmäler haben wir nicht in den Kanälen dieser Stadt!
    Dann fuhren sie immer noch langsam bis zu der großen Laterne, die rechts vom Eingang zum Canal Grande ist, wo die Maschine ihren rasselnden Todeskampf begann, der eine geringe Geschwindigkeitssteigerung hervorrief.
    Jetzt kamen sie an der Accademia vorbei und fuhren unterhalb von ihr zwischen den Pfahlrammen in greifbarer Nähe an einem schwer beladenen schwarzen Dieselboot vorbei, voll mit Bauholz, zu Kloben zersägt, das in den feuchten Häusern der Seestadt als Brennholz verfeuert werden sollte.
    «Das ist Buche, nicht wahr?» fragte der Colonel den Bootsführer.
    «Buche und eine andere Holzart, die billiger ist, deren Namen mir aber im Augenblick nicht einfällt.»
    «Buche ist für ein Kaminfeuer, was Anthrazit für einen Ofen ist. Wo wird das Buchenholz geschlagen?»
    «Ich bin nicht aus den Bergen. Aber ich glaube, es kommt von oberhalb von Bassano vom anderen Ufer der Grappa her. Ich war einmal an der Grappa, um mir anzusehen, wo mein Bruder begraben liegt. Es war ein Ausflug, den man von Bassano aus machte, und wir gingen auf den großen ossario. Aber wir sind über Feltre zurückgekommen. Als wir die Berge hinab ins Tal hinunterkamen, konnte ich sehen, daß auf der anderen Seite gute Wälder sind. Wir kamen die große Militärstraße herunter, auf der eine Menge Holz abgefahren wurde.»
    «In welchem Jahr ist Ihr Bruder an der Grappa gefallen?»
    «1918. Er war ein großer Patriot und hingerissen, als er d’Annunzio reden hörte, und meldete sich als Freiwilliger, bevor sein Jahrgang aufgerufen wurde. Wir kannten ihn eigentlich nicht sehr gut, weil er so jung starb.»
    «Wie viele waren Sie zu Hause?»
    «Wir waren sechs. Zwei haben wir jenseits vom Isonzo verloren, einen an der Bainsizza und einen auf dem Carso. Dann verloren wir den Bruder, von dem ich gerade erzählt habe, an der Grappa, und ich bin übriggeblieben.»
    «Ich werde Ihnen den verdammten Jeep mit allem Zubehör besorgen», sagte der Colonel. «Jetzt wollen wir aber nicht Trübsal blasen, sondern uns nach all den Häusern umsehen, in denen meine Freunde wohnen.»
    Sie fuhren jetzt den Canal Grande hinauf, und man konnte leicht sehen, wo man Freunde wohnen hatte.
    «Das ist das Haus der Contessa Dandolo», sagte der Colonel. Dann sagte er nicht, sondern dachte: Sie ist über achtzig, und sie ist so vergnügt wie ein junges Mädchen und hat keine Angst vorm Sterben. Sie färbt sich die Haare rot, und es sieht sehr gut aus. Sie ist ein guter Kamerad und eine bewunderungswürdige Frau.
    Ihr Palazzo sah reizend aus; er lag ein gutes Stück vom Kanal zurück, mit einem Garten davor und einem eigenen Anlegeplatz, wo manch eine Gondel frohe, vergnügte, traurige und enttäuschte

Weitere Kostenlose Bücher