Über den Fluß und in die Wälder
also laß dir’s nicht von ihm verderben. Du weißt nicht, wie oft du noch Enten schießen wirst; laß es dir also durch nichts verderben.
Er beobachtete, wie sich der Himmel hinter der langen, morastigen Landzunge lichtete, wandte sich in der eingelassenen Tonne um, blickte hinaus über die gefrorene Lagune und die Marsch hinweg und sah in weiter Ferne die schneebedeckten Berge. Von dort unten, wo er war, sah man keine Vorgebirge, und die Berge schienen jäh aus der Ebene aufzusteigen. Als er zu den Bergen hinübersah, konnte er auf seinem Gesicht einen Windhauch spüren; er wußte nun, daß der Wind von dort kommen und mit der Sonne auffrischen würde und daß sicher einige Vögel, sobald der Wind sie aufstöberte, vom Meer einfliegen würden.
Der Bootsmann war jetzt mit dem Aussetzen der Lockenten fertig. Es waren zwei Ketten, eine lief in einer Geraden nach links in der Richtung, wo die Sonne aufgehen würde, und die andere zur Rechten des Jägers. Jetzt ließ er die Wildente mit der Schnur und Anker über Bord, und die quakende Ente stippte den Kopf ins Wasser, und während sie den Kopf hob und wieder eintauchte, spritzte sie sich Wasser über den Rücken.
«Glauben Sie nicht, es wäre gut, an den Rändern noch mehr Eis aufzubrechen?» rief der Jäger dem Bootsmann zu. «Es ist nicht viel Wasser da, um sie anzulocken.»
Der Bootsmann sagte nichts, sondern fing an, mit seinem Ruder auf den zackigen Halbkreis aus Eis einzuschlagen. Dieses Eisbrechen war unnötig, und der Bootsmann wußte es. Aber der Jäger wußte es nicht, und er dachte: Ich versteh ihn nicht. Aber ich darf’s mir nicht von ihm verderben lassen. Ich muß es voll und ganz genießen; er darf es mir nicht verderben. Jedesmal, wenn du jetzt auf Jagd bist, kann’s die letzte Jagd sein, und irgend so ein Dreckskerl soll es dir nicht versauen dürfen. Behalt die Ruhe, Junge, sagte er zu sich.
2
Aber er war kein Junge. Er war fünfzig und Colonel der Infanterie in der amerikanischen Armee und hatte vor der ärztlichen Untersuchung, der er sich an dem Tag unterziehen mußte, bevor er zu dieser Jagd nach Venedig kam, genügend Mannitol Hexanitrat genommen, um – na, er wußte nicht genau wofür, ‹um zu bestehen›, sagte er zu sich.
Der Militärarzt war recht skeptisch gewesen, aber er schrieb die Ergebnisse auf, nachdem er sie zweimal erhalten hatte.
«Wissen Sie, Dick», sagte er, «ich finde keine Indikation; tatsächlich ist der erhöhte intraoculare und intracraniale Druck eine deutliche Kontraindikation.»
«Ich weiß nicht, wovon Sie reden», sagte der Jäger, der jetzt kein Jäger war, sondern nur die Fähigkeiten hierzu in sich hatte und ein vom General ‹zurückbeförderten› Colonel der Infanterie in der amerikanischen Armee war.
«Ich kenne Sie sehr lange, Colonel, oder vielleicht kommt es mir auch nur sehr lange vor», sagte der Militärarzt zu ihm.
«Ja, es ist lange her», sagte der Colonel.
«Wir reden ja wie die Textdichter», sagte der Arzt. «Aber laufen Sie nur niemals gegen etwas an und passen Sie auf, daß Sie nicht Feuer fangen, wenn Sie so mit Nitroglyzerin vollgepumpt sind. Man sollte Sie zwingen, eine Kette hinter sich her zu schleifen, wie ein hochexplosiver Sprengstoffwagen.»
«War denn mein Kardiogramm nicht okay?» fragte der Colonel.
«Ihr Kardiogramm war fabelhaft, Colonel. Es hätte das eines Fünfundzwanzigjährigen sein können. Es könnte das von einem neunzehnjährigen Jungen sein.»
«Also wovon reden Sie dann?» fragte der Colonel.
Derart viel Mannitol Hexanitrat verursachte ihm manchmal eine gewisse Übelkeit, und er wollte die Unterhaltung gern beenden. Er wollte sich auch gern hinlegen und ein Seconal nehmen. Ich sollte ein Handbuch der kleinen Kniffe für die Truppe der Hochdruckgeschädigten schreiben, dachte er. Wünschte, ich könnte ihm das sagen. Warum liefere ich mich nicht auf Gnade oder Ungnade der Justiz aus? Das tut man nie, sagte er zu sich. Denen gegenüber erklärt man sich immer für ‹nicht schuldig›.
«Wie oft haben Sie was in den Kopf gekriegt?» fragte ihn der Militärarzt.
«Sie wissen’s doch», sagte der Colonel zu ihm. «Es steht in meinem 201.»
«Wie oft haben Sie was auf den Kopf gekriegt?»
«Herrgott noch mal!» Dann sagte er: «Fragen Sie mich fürs Militär oder als mein Arzt?»
«Als Ihr Arzt. Sie haben wohl nicht gedacht, daß ich versuchen würde, Sie wieder in Gang zu bringen?»
«Nein. Ja. Entschuldigen Sie. Was wollten Sie doch schon
Weitere Kostenlose Bücher