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Über den Fluß und in die Wälder

Über den Fluß und in die Wälder

Titel: Über den Fluß und in die Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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sagte er.
    Jetzt ist es richtig, dachte er. Es hat Scheiße, Geld und Blut darin; sieh nur, wie das Gras wächst, und das Eisen ist in der Erde mit Ginos Bein, Randolfos beiden Beinen und meiner rechten Kniescheibe. Es ist ein wunderbares Denkmal. Es ist alles da, Fruchtbarkeit, Geld, Blut und Eisen. Klingt, als ob man von einer Nation spricht. Wo Fruchtbarkeit, Geld, Blut und Eisen sind, da ist dein Vaterland. Nur Kohle brauchen wir noch. Etwas Kohle sollten wir haben.
    Dann blickte er über den Fluß, auf das wieder aufgebaute weiße Haus, das damals in Schutt gelegen hatte, und er spuckte in den Fluß. Es war ein ganzes Ende, und er schaffte es gerade.
    «In jener Nacht damals und noch lange Zeit danach konnte ich nicht spucken», sagte er. «Aber für einen Mann, der nicht Kaugummi frißt, spucke ich recht gut.»
    Er ging langsam zurück zu der Stelle, wo der Wagen parkte. Der Fahrer schlief.
    «Wach auf, mein Sohn», hatte er gesagt. «Dreh um und fahr die Straße lang, die nach Treviso geht. Hier in dieser Gegend brauchen wir keine Karte. Ich werd dir sagen, wo wir abbiegen.»

4
    Jetzt auf dem Weg hinein nach Venedig – während der Colonel das starke Verlangen, dort zu sein, streng unter Kontrolle und aus seinen Gedanken heraushielt – ließ der schwere Buick die letzten Häuser von San Dona hinter sich und kam die Brücke, die über die Piave führte, hinauf.
    Sie überquerten die Brücke und waren auf der italienischen Seite des Flusses, und er sah die alte, tiefgelegene Straße wieder. Sie war jetzt hier genauso glatt und eben, wie sie es überall längs des Flusses war. Aber er konnte die alten Stellungen sehen. Und hier zu beiden Seiten der geraden, ebenen, von dem Kanal begrenzten Straße, auf der sie entlangrasten, standen die Weiden an den beiden Kanälen, in denen die Toten gelegen hatten. Gegen Schluß der Offensive hatte es ein großes Schlachten gegeben, und irgendwer hatte den Befehl gegeben, die Toten in die Kanäle zu werfen, um bei dem heißen Wetter die Straße und die Stellungen an den Flußböschungen frei zu halten. Unglücklicherweise waren die Wehre flußabwärts noch in den Händen der Österreicher, und sie waren geschlossen.
    Somit war kaum Bewegung im Wasser, und die Toten waren lange Zeit dort geblieben, wurden immer aufgedunsener und trieben mit dem Gesicht nach unten, dem Gesicht nach oben, ohne Rücksicht auf ihre Nationalität, bis sie ungeheure Dimensionen angenommen hatten. Schließlich, nachdem die Sache organisiert war, holten Arbeitstrupps sie nachts heraus und begruben sie dicht an der Landstraße. Der Colonel sah sich nach dichterem Grün in der Nähe der Straße um, konnte aber keines entdecken. Es waren jedoch viele Enten und Gänse auf den Kanälen, und Leute angelten in ihnen längs der ganzen Landstraße.
    Wie dem auch war, man hatte sie ja alle ausgegraben, dachte der Colonel, und in dem großen ossario bei Nervesa beerdigt.
    «Wir haben hier gekämpft, als ich jung war», erzählte der Colonel dem Fahrer.
    «Es ist verdammt flaches Land zum Kämpfen», sagte der Fahrer. «Wurde der Fluß gehalten?»
    «Ja», sagte der Colonel. «Wir haben ihn gehalten und mußten ihn aufgeben und haben ihn wieder genommen.»
    «So weit man sehen kann, gibt es hier keine Höhenlinie.»
    «Das war die Schwierigkeit», sagte der Colonel. «Man mußte Höhenlinien benutzen, die man nicht sah, so niedrig waren sie, und Gräben und Häuser und Kanalböschungen und Hecken. Es war wie die Normandie, nur flacher. Ich glaube, es muß ungefähr wie bei den Kämpfen in Holland gewesen sein.»
    «Der Fluß kann sich auch nicht im entferntesten mit dem Rapido vergleichen.»
    «Na, es war ein ganz schönes altes Flüßchen», sagte der Colonel. «Höher hinauf hatte es damals reichlich Wasser, bevor all die Wasserkraftwerke kamen. Und zwischen dem Geröll und den Kieselsteinen waren, wenn es seicht war, sehr tiefe und trügerische Rinnen. Dort war eine Stelle, die Grave de Papadopoli hieß, die reichlich knifflig war.»
    Er wußte, wie langweilig die eigenen Kriegserlebnisse für jeden anderen Menschen sind, und er hörte auf davon zu reden. Alle nehmen es persönlich, dachte er. Niemand ist theoretisch daran interessiert außer Soldaten, und es gibt nicht viele Soldaten. Man erzieht sie dazu, und die Guten werden getötet, und vor allem sind alle immer so scharf hinter etwas her, daß sie weder je hinsehen noch hinhören. Sie denken immer an das, was sie gesehen haben, und während man redet,

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