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Über den Fluß und in die Wälder

Über den Fluß und in die Wälder

Titel: Über den Fluß und in die Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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den Blumenkohl in Butter gedämpft, plus einer Artischocke vinaigrette, wenn Sie eine auftreiben können. Was willst du, Tochter?»
    «Kartoffelpüree und einen unangemachten Salat.»
    «Du bist ein junges Mädchen, das im Wachstum begriffen ist.»
    «Ja. Aber ich darf nicht zu sehr wachsen und nicht in der falschen Richtung.»
    «Ich glaube, das war alles», sagte der Colonel. «Wie ist es mit einem fiasco Valpolicella?»
    «Wir haben keine fiascos. Dies ist ein gutes Hotel, Sie verstehen, Colonel, er kommt in Flaschen.»
    «Ich vergaß», sagte der Colonel. «Erinnern Sie sich, als der Liter noch 30 Centesimi kostete?»
    «Und wir mit den leeren fiascos aus den Transportzügen nach den Bahnhofs Wachtposten warfen?»
    «Und wir all die übriggebliebenen Handgranaten wegschmissen und sie die Abhänge hinabkullern ließen, wenn wir von der Grappa zurückkamen?»
    «Und wie sie dann glaubten, daß hier ein Durchbruch war, wenn sie die Explosionen sahen? Und man sich nie rasierte, und wie wir auf unseren offenen grauen Jacken über den grauen Sweatern die fiamme nere trugen?»
    «Und ich Grappa trank und nicht einmal den Geschmack spüren konnte? Damals müssen wir zäh gewesen sein», sagte der Colonel.
    «Damals waren wir schön zäh», sagte der Gran Maestro. «Damals waren wir böse Jungens, und Sie waren der schlimmste.»
    «Ja», sagte der Colonel. «Ich glaube, wir waren ziemlich böse Jungens. Du verzeihst dies, Tochter, nicht wahr?»
    «Du hast kein Bild von damals, oder doch?»
    «Nein. Es gab damals keine Bilder außer welche mit Mr. d’Annunzio darauf. Und aus den meisten Leuten ist auch nichts Rechtes geworden.»
    «Bis auf uns», sagte der Gran Maestro. «Jetzt muß ich gehen und sehen, was das Steak macht.»
    Der Colonel war jetzt wieder ein Lieutenant; er fuhr in einem Lastwagen, und sein Gesicht war so staubbedeckt, daß nur seine metallischen Augen sichtbar waren, und sie waren rot umrändert und wund, und er saß da und dachte.
    Die drei Hauptstellungen, dachte er. Das Bergmassiv, der Grappa mit Assalone und Pertica und der Berg mit dem Namen, an den ich mich nicht erinnern kann, zur Rechten. Dort bin ich zum Mann geworden, und all die Nächte, in denen ich schwitzend aufwachte, weil ich träumte, daß ich sie nicht aus den Lastwagen rauskriegte! Sie sollten natürlich gar nicht raus, niemals. Mein Gott, was für ein Handwerk das ist!
    «Weißt du», sagte er zu dem Mädchen, «daß in unserer Armee so gut wie kein General je gekämpft hat? Es kommt ganz selten mal vor, und die Stäbe haben was gegen die, die gekämpft haben.»
    «Kämpfen Generale denn wirklich?»
    «O ja. Wenn sie Major und Lieutenant sind. Später ist es, außer auf dem Rückzug, ziemlich dämlich, wenn sie’s tun.»
    «Hast du viel gekämpft? Ich weiß, du hast. Aber erzähl mir davon.»
    «Ich hab genug gekämpft, um von den großen Denkern als Dummkopf klassifiziert zu werden.»
    «Erzähl mir davon.»
    «Als ich ein Junge war, kämpfte ich gegen Erwin Rommel halbwegs von Cortina bis zur Grappa, wo wir haltmachten. Damals war er Hauptmann und ich fungierte als Captain, aber eigentlich war ich nur Lieutenant.»
    «Kanntest du ihn?»
    «Nein, ich lernte ihn erst nach dem Krieg kennen, als wir uns unterhalten konnten. Er war sehr nett, und ich konnte ihn gut leiden. Wir gingen zusammen Skilaufen.»
    «Mochtest du viele Deutsche?»
    «Sehr viele. Am liebsten hatte ich Ernst Udet.»
    «Aber sie waren im Unrecht.»
    «Gewiß. Aber wer ist das nicht einmal gewesen?»
    «Ich könnte sie nie gern haben oder eine so duldsame Haltung ihnen gegenüber einnehmen wie du, weil sie meinen Vater getötet haben und sie unsere Villa an der Brenta abgebrannt haben und seit dem Tag, an dem ich einen deutschen Offizier sah, der auf der Piazza San Marco mit seinem Gewehr auf Tauben schoß.»
    «Das kann ich verstehen», sagte der Colonel. «Aber bitte, Tochter, versuch du auch, meine Haltung zu verstehen. Wenn man so viele getötet hat, kann man sich’s leisten, tolerant zu sein.»
    «Wie viele hast du getötet?»
    «122 einwandfrei, die Ungewissen nicht mitgezählt.»
    «Hast du keine Gewissensbisse gehabt?»
    «Niemals.»
    «Auch keine bösen Träume?»
    «Auch keine bösen Träume. Aber meistens sonderbare. Gefechtsträume immer noch eine ganze Zeitlang nach dem Gefecht. Und dann meistens sonderbare Träume über irgendwelche Orte. Weißt du, man lebt ja durch die Zufälligkeiten des Geländes. Und das Gelände ist das, was in dem träumenden

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