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Über den Fluß und in die Wälder

Über den Fluß und in die Wälder

Titel: Über den Fluß und in die Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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bin in den Jargon meines sale metier gerutscht.»
    «Nein», sagte sie. «Bitte, leg deine Arme sanft und fest um mich. Bitte. Es ist kein schmutziges Handwerk. Es ist das älteste und das beste, obschon die meisten Leute, die es ausüben, seiner unwürdig sind.»
    Er hielt sie so fest, wie er konnte, ohne ihr weh zu tun, und sie sagte: «Ich hätte nicht gern, wenn du ein Anwalt oder ein Priester wärst. Oder Sachen verkauftest. Oder sehr erfolgreich wärst. Ich bin froh, daß dies dein Handwerk ist, und ich liebe dich. Bitte, flüster, wenn du willst.»
    Der Colonel flüsterte wahr und aufrichtig, während er sie fest an sich drückte und ihm das Herz brach, mit seinem Geflüster, das fast so hörbar wie eine stumme Hundepfeife dicht am Ohr war: «Ich liebe dich, du Teufel. Und meine Tochter bist du auch, und ich mach mir nichts aus unseren Verlusten, weil der Mond unsere Mutter und unser Vater ist. Und jetzt wollen wir zum Essen hinuntergehen.»
    Er flüsterte dies letzte so leise, daß es für jeden, der einen nicht liebte, unhörbar war.
    «Ja», sagte das Mädchen. «Ja, aber küß mich erst noch einmal.»

12
    Sie saßen an ihrem Tisch in der hintersten Ecke der Bar, wo der Colonel Flankendeckung von beiden Seiten hatte, und er ruhte gewichtig in der Ecke des Raums. Der Gran Maestro wußte Bescheid: er war ein ausgezeichneter Feldwebel in einer guten Infanteriekompanie in einem erstklassigen Regiment gewesen, und er hätte seinen Colonel ebensowenig in der Mitte des Raums placiert, wie er eine schlechte Verteidigungsstellung bezogen hätte.
    «Der Hummer», sagte der Gran Maestro.
    Der Hummer war imposant. Er war doppelt so groß, wie ein Hummer sein soll, und seine Unfreundlichkeit war ihm beim Sieden vergangen, so daß er jetzt wie sein eigenes Denkmal aussah, komplett mit hervorstehenden Augen und zarten, weit ausgestreckten Antennen, die ihm kundtun sollten, was seine reichlich stupiden Augen ihm nicht sagen konnten.
    Er sieht ein bißchen wie Georgie Patton aus, dachte der Colonel. Aber wahrscheinlich hat er nie in seinem Leben geweint, wenn ihn etwas rührte.
    «Glaubst du, daß er zäh sein wird?» fragte er das Mädchen auf italienisch.
    «Nein», versicherte ihnen der Gran Maestro, der immer noch den Hummer präsentierte. «Er ist bestimmt nicht zäh. Er ist bloß groß. Sie kennen doch die Sorte.»
    «Schön», sagte der Colonel. «Servieren Sie ihn.»
    «Und was werden Sie trinken?»
    «Was möchtest du, Tochter?»
    «Was du möchtest.»
    «Capri Bianco», sagte der Colonel. «Secco und wirklich kalt.»
    «Er steht schon bereit», sagte der Gran Maestro.
    «Wunderbar, wie wir uns amüsieren, nicht wahr?» sagte das Mädchen. «Jetzt amüsieren wir uns wieder ohne jeden Kummer. Was für ein imposanter Hummer das ist, nicht wahr?»
    «Das ist er», sagte der Colonel. «Und er soll sich hüten, nicht zart zu sein.»
    «Das ist er bestimmt», sagte das Mädchen zu ihm. «Der Gran Maestro lügt nicht. Ist es nicht großartig, daß es Leute gibt, die nicht lügen?»
    «Ganz großartig und äußerst selten», sagte der Colonel. «Ich dachte eben an einen Mann, der Georgie Patton heißt, der vielleicht niemals in seinem ganzen Leben die Wahrheit gesagt hat.»
    «Lügst du jemals?»
    «Ich habe viermal gelogen. Aber ich war immer sehr müde. Das ist keine Entschuldigung», fügte er hinzu.
    «Ich habe viel gelogen, als ich ein kleines Mädchen war. Aber meistens habe ich mir nur Geschichten ausgedacht. Wenigstens glaube ich das. Aber ich habe nie zu meinem Vorteil gelogen.»
    «Aber ich», sagte der Colonel. «Viermal.»
    «Wärst du ein General, wenn du nicht gelogen hättest?»
    «Wenn ich so gelogen hätte, wie andere gelogen haben, wäre ich ein General mit drei Sternen.»
    «Würdest du glücklicher sein, wenn du ein General mit drei Sternen wärst?»
    «Nein», sagte der Colonel. «Sicher nicht.»
    «Faß mit deiner rechten Hand, deiner richtigen Hand, einmal in deine Tasche und sag mir, wie du dich fühlst.»
    Der Colonel tat es. «Wunderbar», sagte er. «Aber weißt du, ich muß sie zurückgeben.»
    «Nein. Bitte nicht.»
    «Wir wollen jetzt nicht darüber sprechen.»
    Der Hummer wurde ihnen gerade vorgelegt. Er war zart, und jener Stoßmuskel, der der Schwanz ist, hatte jenen eigentümlichen glitschigen Reiz, und die Scheren waren ausgezeichnet, weder zu mager noch zu fleischig.
    «Ein Hummer nimmt zu mit dem Mond», sagte der Colonel zu dem Mädchen. «Bei Neumond lohnt es nicht, ihn zu

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