Über den Fluß und in die Wälder
Weinkorken gesteckt hatte.
«Das ist gut für dich, Tochter. Es ist gut für all die Übel, die wir alle haben, und für alle Traurigkeit und Unentschlossenheit.»
«Ich habe keines von diesen», sagte sie und sprach grammatikalisch richtig, wie es ihr ihre Gouvernante beigebracht hatte. «Ich bin nur eine Frau oder ein Mädchen oder was immer das ist, die das tut, was immer es ist, was sie nicht tun sollte. Wir wollen’s noch mal tun, bitte, jetzt wo ich in Lee bin.»
«Wo ist die Insel jetzt und in welchem Fluß?»
«Du machst die Entdeckung. Ich bin das unbekannte Land.»
«Nicht ganz unbekannt», sagte der Colonel.
«Bitte, sei nicht unhöflich», sagte das Mädchen. «Und bitte, greif vorsichtig an und reite dieselbe Attacke wie vorhin.»
«Es ist keine Attacke», sagte der Colonel. «Es ist etwas anderes.»
«Was immer es ist, was immer es ist. Jetzt, wo ich noch in Lee bin.»
«Ja», sagte der Colonel. «Ja, wenn du jetzt möchtest oder freundlichst gestattest.»
«Bitte, ja.»
Sie redet wie eine sanfte Katze, obgleich die armen Katzen nicht sprechen können, dachte der Colonel. Aber dann hörte er auf zu denken, und er dachte eine ganze Zeitlang nichts.
Die Gondel befand sich jetzt in einem der Nebenkanäle. Als sie von dem Canal Grande abgebogen waren, hatte der Wind sie gepackt, so daß der Gondoliere sein ganzes Gewicht als Ballast hatte verlegen müssen, und der Colonel und das Mädchen unter der Decke hatten auch ihre Lage gewechselt, und der Wind war wild unter dem Rand der Decke eingedrungen.
Sie hatten eine lange Zeit nicht gesprochen, und der Colonel hatte zur Kenntnis genommen, daß die Gondel nur ein paar Zentimeter Spielraum hatte, als sie unter der letzten Brücke hindurchfuhren.
«Wie geht’s dir, Tochter?»
«Ganz wunderbar.»
«Liebst du mich?»
«Bitte, frag nicht so dumme Sachen.»
«Die Flut ist sehr hoch, und wir sind nur gerade so unter der letzten Brücke durchgekommen.»
«Ich weiß schon, wo wir fahren können. Ich bin hier geboren.»
«Ich habe mich oft in meinem Geburtsort geirrt», sagte der Colonel. «Hier geboren sein, ist nicht alles.»
«Es ist sehr viel», sagte das Mädchen. «Du weißt es. Bitte, halt mich sehr fest, damit wir eine kurze Zeit lang jeder ein Stück vom andern sein können.»
«Wir können es versuchen», sagte der Colonel.
«Kann ich nicht du sein?»
«Das ist furchtbar kompliziert. Wir können es natürlich versuchen.»
«Jetzt bin ich du», sagte sie. «Und ich habe gerade Paris eingenommen.»
«Herrje, Tochter», sagte er. «Da hast du allerhand Probleme am Hals. Das Nächste ist, daß die 28. Division vorbeimarschieren wird.»
«Das ist mir ganz egal.»
«Mir aber nicht.»
«Taugten sie nichts?»
«Doch. Sie hatten auch ausgezeichnete Befehlshaber. Aber es war National Guard, und sie hatten Pech. Was man eine T. S.-Division nennt. Hol dir deinen T. S.-Schein vom Feldgeistlichen.»
«Von alldem versteh ich kein Wort.»
«Es lohnt sich nicht, es zu erklären», sagte der Colonel.
«Willst du mir ein paar wahre Geschichten über Paris erzählen? Ich liebe es so, und wenn ich daran denke, daß du’s genommen hast, dann kommt es mir vor, als ob ich mit Marechal Ney in dieser Gondel fahre.»
«Keine empfehlenswerte Sache», sagte der Colonel.
«Auf jeden Fall nicht, nachdem er all die Nachhutsgefechte hinter sich hatte, als er aus jener großen russischen Stadt da zurückkam. Er pflegte zehn-, zwölf-und fünfzehnmal am Tag zu kämpfen. Vielleicht auch öfter. Später konnte er sich an keinen Menschen mehr erinnern. Bitte, fahr nicht mit ihm Gondel.»
«Er war immer einer meiner Lieblingshelden.»
«Tja, meiner auch. Bis Quatre Bras. Vielleicht war es nicht Quatre Bras. Mein Gedächtnis ist eingerostet. Nennen wir es mit dem Gattungsnamen Waterloo.»
«Taugte er da nichts?»
«Es war grauenhaft», sagte der Colonel zu ihr. «Schwamm drüber. Zuviel Nachhutsgefechte, als er von Moskau zurückkam.»
«Aber man nannte ihn den Tapfersten der Tapferen.»
«Davon kann man nicht leben. Man muß das immer sein, und dann muß man der Schlaueste der Schlauen sein, und dann braucht man ‘ne Masse Materialnachschub.»
«Bitte, erzähl mir von Paris. Wir sollten aufhören, ich weiß es.»
«Ich weiß es nicht. Wer sagt das?»
«Ich sage es, weil ich dich liebe.»
«In Ordnung. Du hast es gesagt, und du liebst mich. Also handeln wir danach. Zum Teufel noch mal.»
«Glaubst du, daß wir noch mal können, ohne daß es dir
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