Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Über den Fluß und in die Wälder

Über den Fluß und in die Wälder

Titel: Über den Fluß und in die Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
Vom Netzwerk:
Verzweiflung übrigblieb.
    «Ich liebe dich.»
    «Was immer das auch bedeutet», unterbrach sie ihn.
    «Ich liebe dich, und ich weiß, was es bedeutet. Das Bild ist wunderbar. Aber es gibt keine Worte, um zu sagen, wie du bist.»
    «Wild», sagte sie, «liederlich oder ungepflegt?»
    «Nein.»
    «Das letzte Wort war eines der ersten Worte, das ich von meiner Gouvernante lernte. Es bedeutet, daß man seine Haare nicht genügend kämmt. ‹Nachlässig› bedeutet, daß man sie abends nicht hundertmal gebürstet hat.»
    «Ich werde mit der Hand hindurchfahren und sie noch wilder machen.»
    «Mit deiner verwundeten Hand?»
    «Ja.»
    «Dazu sitzen wir falsch. Plätze wechseln!»
    «Schön. Das ist ein vernünftiger Befehl, in einfache Worte gekleidet und leicht verständlich.»
    Es machte Spaß, die Plätze zu wechseln und zu versuchen, dabei das Gleichgewicht der Gondel nicht zu stören und nachher wieder sorgfältig zu trimmen.
    «So», sagte sie. «Aber halt mich mit dem anderen Arm fest.»
    «Du weißt genau, was du willst.»
    «Das tu ich freilich. Das ist wohl sehr wenig jungmädchenhaft? Das Wort hab ich auch von meiner Gouvernante gelernt.»
    «Nein», sagte er. «Es ist wunderbar. Zieh die Decke gut hinauf und fühl nur mal diesen Wind.»
    «Er kommt vom Gebirge her.»
    «Ja, und jenseits von dort, kommt er von irgendwo anders her.»
    Der Colonel hörte das Anklatschen der Wellen, und er spürte den scharf wehenden Wind, und die rauhe Vertrautheit der Decke, und dann spürte er das Mädchen, kalt-warm und wunderbar, mit emporstehenden Brüsten, über die seine linke Hand leicht dahinstrich. Dann fuhr er mit seiner schlimmen Hand durch ihr Haar, einmal, zweimal und dreimal, und dann küßte er sie, und es war schlimmer als Verzweiflung.
    «Bitte», sagte sie von fast unter der Decke her. «Laß mich jetzt küssen.»
    «Nein», sagte er. «Ich noch.»
    Der Wind war sehr kalt und peitschte ihre Gesichter, aber unter der Decke war kein Wind, war nichts, nur seine verwundete Hand, die nach der Insel in dem großen Fluß zwischen den hohen, steilen Abhängen suchte.
    «So, ja», sagte sie.
    Dann küßte er sie, und er suchte nach der Insel, fand sie und verlor sie, und er fand sie endgültig. Endgültig, auf Gedeih und Verderb dachte er, und ein für allemal.
    «Mein Liebling», sagte er. «Mein sehr Geliebtes. Bitte.»
    «Nein. Halt mich nur sehr fest und halt auch das hohe Gelände.»
    Der Colonel sagte nichts, weil er bei dem einzigen Mysterium, an das er – außer gelegentlicher menschlicher Tapferkeit – glaubte, mitwirkte oder zugegen war.
    «Bitte, beweg dich nicht», sagte das Mädchen. «Jetzt beweg dich sehr.»
    Der Colonel tat es, und als er unter der Decke im Wind lag, wußte er, daß einem Mann nur das bleibt, was er für eine Frau tut, außer das, was er für sein Vater-oder Mutterland tut, wie immer die Lesart ist.
    «Bitte, Liebling», sagte das Mädchen. «Ich glaube, ich kann’s nicht aushalten.»
    «Glaub nichts und denk an nichts, überhaupt nichts.»
    «Ja.»
    «Nicht denken.»
    «Ach bitte, nicht sprechen.»
    «Ist es schön so?»
    «Das weißt du.»
    «Bist du sicher?»
    «Ach bitte, nicht reden. Bitte.»
    Ja, dachte er. Bitte und wieder bitte.
    Sie sagte nichts und er auch nicht, und als der Riesenvogel aus dem geschlossenen Fenster der Gondel weit fortgeflogen war und verloren war und fort war, sagte keiner von beiden etwas. Mit seinem guten Arm hielt er leicht ihren Kopf, und der andere Arm hielt jetzt das hohe Gelände.
    «Bitte tu sie dahin, wo sie hingehört», sagte sie. «Deine Hand.»
    «Sollen wir?»
    «Nein. Halt mich nur ganz fest und versuch mich richtig zu lieben.»
    «Ich liebe dich richtig», sagte er. Gerade da drehte die Gondel ganz scharf nach links, und der Wind stand auf seiner rechten Backe, und er sagte, als seine alten Augen die Umrisse des Palastes, an dem sie wendeten, auffingen und zur Kenntnis nahmen: «Du bist jetzt in Lee, Tochter.»
    «Aber jetzt ist es zu bald. Weißt du nicht, wie es bei Frauen ist?»
    «Nein. Nur, was du mir sagst.»
    «Danke für das ‹du sagst›. Aber weißt du’s wirklich nicht?»
    «Nein. Ich hab wahrscheinlich niemals gefragt.»
    «Frag jetzt», sagte sie. «Und warte bitte, bis wir unter der zweiten Brücke hindurch sind.»
    «Trink ein Glas hiervon», sagte der Colonel und langte behutsam und sicher nach dem Champagnerkühler mit dem Eis und entkorkte die Flasche, die der Gran Maestro entkorkt und in die er dann einen gewöhnlichen

Weitere Kostenlose Bücher