Über den Fluß und in die Wälder
ein General.»
«Nicht sehr lange, verdammt noch mal», sagte der Colonel. «Weißt du», sagte der General, «Captains, die wissen genau, was wahr ist, und sie können es einem auch meistens sagen. Falls sie’s nicht können, degradiert man sie.»
«Würdest du mich degradieren, wenn ich löge?»
«Es käme darauf an, worum es sich handelt.»
«Ich werde nicht lügen. Ich will nicht degradiert werden. Es klingt grauenhaft.»
«Ist es auch», sagte der Colonel. «Man schickt die Leute dafür nach hinten, mit elf Durchschlägen versehen, in denen drin steht, warum es geschehen soll, und von denen man jeden einzelnen unterschreibt.»
«Hast du viele degradiert?»
«Eine ganze Menge.»
Der Portier kam herein mit dem Porträt in seinem großen Rahmen; er bewegte sich ähnlich wie ein Schiff, das zuviel Leinwand gesetzt hat.
«Holen Sie zwei Stühle», sagte der Colonel zu dem Kellner, «und stellen Sie sie dorthin. Passen Sie auf, daß die Leinwand die Stühle nicht berührt. Und halten Sie es so, daß es nicht rutscht.» Dann sagte er zu dem Mädchen: «Wir müssen einen anderen Rahmen besorgen.»
«Ich weiß», sagte sie. «Ich habe ihn nicht ausgesucht. Nimm es ungerahmt mit, und nächste Woche besorgen wir zusammen einen passenden Rahmen. Jetzt sieh hin. Sieh nicht auf den Rahmen. Sondern auf das, was es von mir aussagt oder nicht aussagt.»
Es war ein wunderschönes Porträt, weder kalt noch versnobt, noch stilisiert, noch modern. Es war so, wie man seine Freundin hätte malen lassen, wenn Tintoretto zur Hand gewesen wäre, und falls der nicht zu haben war, sich für Velazquez entschieden hätte. Es war weder die Malart des einen noch des andern. Es war einfach ein ausgezeichnetes Porträt, wie sie eben manchmal auch in unserer Zeit gemalt werden.
«Es ist wunderbar», sagte der Colonel. «Es ist wirklich wunderschön.»
Der Portier und der Kellner hielten es und sahen es sich über die Ränder von der Seite her an. Der Gran Maestro bewunderte es von vorn. Der Amerikaner, zwei Tische entfernt, musterte es mit seinen Journalistenaugen und überlegte, wer es wohl gemalt haben könnte. Die anderen Speisenden sahen nur die Rückseite des Bildes.
«Es ist wunderbar», sagte der Colonel. «Aber das kannst du mir nicht schenken.»
«Das habe ich schon getan», sagte das Mädchen. «Ich bin sicher, daß mir das Haar niemals so lang über die Schultern gehangen hat.»
«Wahrscheinlich war es doch so.»
«Wenn du möchtest, könnte ich mal versuchen, ob es so lang wird.»
«Versuch mal», sagte der Colonel. «Du große Schönheit, du. Ich liebe dich sehr. Dich und dich auf der Leinwand porträtiert.»
«Erzähl’s den Kellnern, wenn du möchtest. Ich bin überzeugt, daß es keine große Überraschung für sie sein wird.»
«Tragen Sie das Bild hinauf in mein Zimmer», sagte der Colonel zu dem Portier. «Danke bestens fürs Hereinbringen. Falls der Preis mir zusagt, werde ich es kaufen.»
«Der Preis wird dir zusagen», sagte das Mädchen. «Sollten wir das Bild und die Stühle hinübertragen lassen und eine Sonderschau für deinen Landsmann veranstalten? Der Gran Maestro könnte ihm die Adresse des Künstlers geben, und er könnte sein malerisches Atelier besuchen.»
«Es ist ein wunderschönes Porträt», sagte der Gran Maestro. «Aber es sollte aufs Zimmer gebracht werden. Man sollte nie Roederer oder Perrier Jouet das Gespräch führen lassen.»
«Bringen Sie es auf mein Zimmer bitte.»
«Du hast ‹bitte› gesagt, ohne vorher eine Pause zu machen.»
«Ja», sagte der Colonel. «Das Porträt hat mich umgeworfen, und ich bin nicht völlig verantwortlich für das, was ich sage.»
«Wir wollen beide unverantwortlich sein.»
«Einverstanden», sagte der Colonel. «Der Gran Maestro ist das Verantwortungsgefühl selbst. Das war er immer.»
«Nein», sagte das Mädchen. «Ich glaube, er tat es nicht nur aus Verantwortungsgefühl, sondern auch aus Bosheit. In dieser Stadt sind alle auf die eine oder die andere Art ein bißchen boshaft. Vielleicht wollte er, daß der Mann da nicht einmal einen Journalistenblick ins Glück tun sollte.»
«Was immer das sein mag.»
«Ich habe die Redewendung von dir gelernt, und jetzt hast du sie von mir zurückgelernt.»
«Das ist der Lauf der Welt», sagte der Colonel. «Was man in Boston gewinnt, verliert man in Chicago.»
«Das versteh ich überhaupt nicht.»
«Zu schwer zu erklären», sagte der Colonel. Dann: «Nein, natürlich nicht. Dinge erklären ist ja
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