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Über den Fluß und in die Wälder

Über den Fluß und in die Wälder

Titel: Über den Fluß und in die Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Torcello.»
    «Du bist auch einer aus Torcello.»
    «Ja, und ich bin einer von der Basso Piave und einer von der Grappa schnurstracks von Pertica. Ich bin einer vom Pasubio, wenn du weißt, was das heißen will. Es war schlimmer, einfach dort zu sein, als irgendwo anders zu kämpfen. In meinem Zug pflegten sie sich die Gonokokken, die irgendwer aus Schio in einer Streichholzschachtel mitbrachte, zu teilen. Sie pflegten sie untereinander aufzuteilen, damit sie nur von dort fortkamen, weil es einfach unerträglich war.»
    «Aber du bist geblieben?»
    «Gewiß», sagte der Colonel. «Ich bin immer der letzte, der die Gesellschaft verläßt, der unbeliebteste Gast.»
    «Müssen wir gehen?»
    «Ich dachte, du hättest deinen Entschluß gefaßt?»
    «Das hatte ich. Aber als du das von dem unbeliebtesten Gast gesagt hast, da habe ich mich umentschlossen.»
    «Bleib bei deinem Entschluß.»
    «Ich kann auch einen Entschluß durchhalten.»
    «Ich weiß, du kannst alles durchhalten, verdammt noch mal. Aber, Tochter, manchmal hält man nicht nur einfach durch. Das ist was für Dummerjane. Manchmal heißt es schnell umschalten.»
    «Ich werde umschalten, wenn du willst.»
    «Nein, ich halte den Entschluß für richtig.»
    «Aber ist es nicht schrecklich lang bis morgen früh?»
    «Das hängt ganz davon ab, ob man Glück hat oder nicht.»
    «Ich werde sicher gut schlafen.»
    «Ja», sagte der Colonel. «Wenn du in deinem Alter nicht gut schlafen könntest, sollte man dich abholen und aufhängen.»
    «Ach, bitte.»
    «Verzeih», sagte er. «Ich meinte erschießen.»
    «Wir sind beinahe zu Hause, und du könntest doch freundlich sein, wenn du wolltest.»
    «Ich bin so freundlich, daß es stinkt. Laß andere Leute freundlich sein.»
    Jetzt standen sie vor dem Palast; ja, da war er, der Palast. Man konnte nichts weiter tun, als den Glockenstrang ziehen oder mit dem Schlüssel öffnen. Hier hab ich mich verloren, dachte der Colonel. Und ich bin mein Lebtag niemals verloren gewesen.
    «Bitte gib mir einen freundlichen Gutenachtkuß.»
    Der Colonel tat es und liebte sie so, daß er es kaum ertragen konnte.
    Sie öffnete die Tür mit dem Schlüssel, den sie in ihrer Handtasche hatte. Dann war sie verschwunden, und der Colonel war allein mit dem abgetretenen Pflaster, dem Wind, der immer noch von Norden kam, und den Schatten von dort, wo ein Licht aufflammte. Er ging nach Hause.
    Nur Touristen und Liebespaare nehmen Gondeln, dachte er. Außer um den Kanal an Stellen zu kreuzen, wo es keine Brücken gibt. Ich sollte wahrscheinlich zu Harry oder irgend sonstwohin gehen. Aber ich glaube, ich werde nach Hause gehen.

15
    Es war wirklich ein Zuhause, wenn man das von einem Hotelzimmer sagen kann. Seine Pyjamas waren auf dem Bett ausgelegt. Neben der Leselampe stand eine Flasche Valpolicella und am Bett eine Flasche Mineralwasser in einem Eiskübel und daneben ein Glas auf dem silbernen Tablett. Das Porträt war aus dem Rahmen genommen und auf zwei Stühle gestellt worden, so daß er es vom Bett aus sehen konnte.
    Die Pariser Ausgabe der New York Herold Tribune lag auf dem Bett neben seinen drei Kopfkissen. Er benutzte drei Kopfkissen, das wußte Arnaldo, und seine Reserveflasche mit Medizin, nicht die, die er in der Tasche trug, stand neben der Leselampe. Die inneren Türen des Schranks mit den Spiegeln waren derart geöffnet, daß er das Porträt auch von der Seite sehen konnte. Seine Morgenschuhe standen neben dem Bett.
    Ich werde es kaufen, sagte der Colonel zu sich selbst, da niemand außer dem Porträt da war. Er öffnete den Valpolicella, der entkorkt war, und den man dann sorgsam, sachgemäß und liebevoll wieder zugekorkt hatte, und goß sich ein Glas davon ein, in ein Glas, das kostbarer war, als man es in irgendeinem Hotel, wo man mit Bruch rechnen mußte, hätte benutzen dürfen.
    «Auf dein Wohl, Tochter», sagte er. «Du Schöne und Wunderbare. Weißt du, daß du, abgesehen von anderen Dingen, immer gut riechst? Du riechst wunderbar selbst bei Sturm oder unter einer Decke oder beim Gutenachtkuß. Weißt du, daß das fast niemand tut, und du benutzt kein Parfüm.» Sie blickte ihn aus dem Porträt an und sagte nichts. «Zum Teufel damit», sagte er, «ich werde mich doch nicht mit einem Bild unterhalten.»
    Was wohl nur heute abend schiefgegangen ist? dachte er.
    Meine Schuld wahrscheinlich. Na, ich werde versuchen, morgen den ganzen Tag ein guter Junge zu sein – gleich bei Morgengrauen damit anfangen.
    «Tochter», sagte er, und

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