Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman
»wir kommen alle mit nach Irland! Und buchen uns direkt bei deinem Flug dazu. Einen fast kostenlosen Urlaub kann ich derzeit gut gebrauchen.«
Toni sieht bedrückt drein: »Ich wünschte, ich könnte auch mitkommen. Vielleicht schaffe ich es ja, zwischendurch zumindest mal für ein paar Tage bei euch vorbeizuschauen. «
»Aber bevor wir abfliegen, müssen wir morgen unbedingt noch alle zusammen in die Ausstellung zur Alltagskunst des neuen Jahrtausends«, sagt Tanja.
»Was für ein Trost!« Toni verdreht ihre Augen.
Juli legt ihre Hand auf meine: »Du musst jetzt ganz stark
sein, Louisa. Tanja ist sich sicher, dass sie Kunstgeschichte studieren möchte.«
Darauf erntet sie prompt einen bösen Blick von Tanja.
»Und da willst du von hinten mit dem neuen Jahrtausend anfangen?«, frage ich.
Tanja guckt noch grimmiger. Aber eigentlich kann sie sich nicht beschweren. Sie ist 32 – so alt wie Juli und ich – und ist gerade im Begriff, ihr mindestens zehntes Studium anzufangen.
Peter lehnt sich in seinem Stuhl zurück. »Nicht streiten, Mädels. Nur aufs Ziel zu sehen, verdirbt die Lust am Reisen. Ich finde Tanja soll ruhig ausprobieren, was ihr gefällt. «
»Aber ich weiß jetzt wirklich, was ich will! Ich habe eine Dokumentation über moderne indische Kunst gesehen. Der Markt boomt, die Bilder sind großartig. Das hat echt Zukunft. Ich werde eine Galerie eröffnen. Aber vorher brauche ich ein ausbaufähiges Fundament.«
Und ich hab’s doch gesagt: Sie ist in Hrithik verknallt, sonst kommt doch kein Mensch auf moderne, indische Kunst!
»Und wie wirst du dich bis dahin über Wasser halten?«, frage ich pragmatisch.
»Ganz fachnah«, sagt Tanja trotzig.
»Sie hat schon einen Job als Souvenirverkäuferin in der Kunsthalle«, sagt Juli.
Eines muss man Tanja echt lassen: Sie ist schnell und konsequent – für jeweils drei Monate. Eine serielle Monogamistin des Berufslebens. Wie ich schon sagte, sie ist die perfekte Unterstützung bei meiner neuen Aufgabe: effektiver Einsatz über eine sehr begrenzte Zeitdauer.
»Na gut, dann gehen wir morgen in die Ausstellung«, beschließe ich.
W as zu Hölle ist das?«, fragt Juli ziemlich laut.
»Igitt«, ächzt Toni.
Tanja zuckt zusammen.
Ich bin zunächst einfach nur ratlos. Aber ich darf das auch – schließlich sind Toni und Juli diejenigen, die in der Kulturredaktion arbeiten. Aber wenn ich genau hingucke, bekomme ich eine vage Ahnung, was der Gegenstand sein könnte, auf den Juli zeigt: »Eine Klobrille mit künstlicher Scheiße.« Bäh!
Selbst Peter sieht fassungslos aus, reißt sich aber schnell zusammen, als er Tanjas betroffenen Blick sieht. »Ähem, manchmal muss die Kunst auch das Leben imitieren«, sagt er schnell.
Wir nicken hastig.
»Zur Kunst gehört eben der Tabubruch«, sagt Tanja. Sie ist echt sauer, weil sie merkt, dass wir ihre neue Leidenschaft weder teilen noch ernst nehmen. Wie auch, wo wir doch genau wissen, dass sie das alles in spätestens einem halben Jahr selbst nicht mehr interessieren wird?
Tabubruch? Das war es vielleicht, als sich irgendwelche total progressiven Theatermacher in den Siebzigern öffentlich mit Blut und Exkrementen beschmiert und sich zwischendurch mal ans Kreuz haben nageln lassen. Aber eigentlich war es damals schon ziemlich bemühter Schwachsinn, denke ich, wenn ich an Bilder aus der Zeit denke. Doof, aber von mir aus immerhin ein Tabubruch. Als wäre
das ein Wert an sich. Aber nun haben wir das doch alles gesehen. Können wir jetzt nicht einfach wieder hübsche Bilder an die Wand hängen, auf denen man zumindest irgendetwas erkennen kann?
Ich möchte Tanja nicht verärgern und schweige lieber. Zwischen Peter und Toni bricht wie so oft gerade ein größerer Streit über Kunst und Tabus aus. Rette sich, wer kann. Schnell eile ich Juli hinterher, die schon zu einem Bild weitergewandelt ist – und sich nur mühsam das Lachen verkneifen kann. Neben ihr steht ein älteres Ehepaar. Beide haben sich konzentriert vornübergebeugt. Die Hände hinterm Rücken verschränkt starren sie gebannt auf ... ein kariertes Stück Papier, das aus einem Notizblock gerissen wurde. Darauf hat jemand – im Zweifelsfall ein Künstler – mit Kugelschreiber eine verwackelte bananenförmige Linie gezeichnet und an die Enden jeweils noch einen Zipfel angefügt. »Die Bratwurst« heißt das Bild. Steht zumindest auf dem Schild daneben.
Der ältere Herr hat ganz offenbar seinen besten Anzug angezogen und zur Feier des Tages noch seine
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