Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman
»Botulinumtoxin« aussprechen kann, flößt mir auch nicht mehr Vertrauen an. Er ist der Pressesprecher einer Schönheitsklinik und will, dass wir den Mist in »unseren« Magazinen promoten. Seine Argumente sind wirklich gut: Am Ende des Vortrags lädt er großzügig alle anwesenden Redakteurinnen
zu einer schnellen, kostenlosen Spritze ein. Wer nicht zum Zuge kommt, darf sich einen Gutschein abholen. Bei der Tageszeitung gab es zwar auch Schnorrer, aber insgesamt galt es doch eher als unethisch, überall Werbegeschenke einzusacken. Na gut, es war auch leicht, das einzuhalten, weil die wertvollsten Give-aways, die auf unserem Schreibtisch landeten, höchstens mal ein Schlüsselanhänger der Wasserwerke oder ein Bildband des gerade gastierenden Zirkus waren. Aber so eine Spritze ...? Was kostet die wohl? Ich bin entsetzt. Das hier ist nichts weiter als eine Botox-Massen-Party von korrupten Journalistinnen. Und bevor ich mir die Augen zuhalten kann, sitzt die Erste von ihnen schon auf dem Stuhl und lässt sich von David Copperfield die Stelle zwischen Augenbraue und Nasenwurzel massieren, in die gleich die Spritze gejagt werden soll. Mir wird übel. »Unwürdig«, ächzt meine Chefin.
Dankbar sehe ich sie an. So übel ist sie ja gar nicht!
»Sich hier öffentlich auf den Stuhl zu setzen. Würden Sie mir bitte einen Gutschein holen?« Bei dieser Bitte hat sie mich nicht eines Blickes gewürdigt, sondern nur gierig jede Bewegung dieses Copperfields für Arme beäugt.
Da ist es schon wieder, das merkwürdige Bauchgefühl, das mich schon beim ersten Schritt in das Verlagshaus beunruhigt hatte. Jetzt ist es so stark, dass ich mich ihm beugen und etwas sehr Unvernünftiges tun muss. Ich gehe, ohne mich zu verabschieden und ohne mich auch nur einmal umzudrehen.
Ach, verdammt«, sagt Juli später im Weinstein, bevor sie in schallendes Gelächter ausbricht. »Da wäre ich gerne dabei gewesen. Tut mir leid, Louisa. Aber das ist komisch.«
»Es war meine einzige Einladung.«
»Sei froh, dass es nicht geklappt hat! Bei diesen oberflächlichen Magazinen wärst du doch nie glücklich geworden.« Toni glaubt tatsächlich, dass Tageszeitungen die letzte Bastion des wahren und reinen Journalismus sind. Deshalb lächelt sie zufrieden.
Juli und mir hingegen geht das Wichtigkeits-Getue von »echten« Journalisten, die sich selbst für die unverzichtbare vierte Gewalt im Staate halten, bisweilen gewaltig auf den Keks. Meist sind das genau die, die so wie Martin glauben, sie hätten an den ganz großen Entscheidungen teil, nur weil sie als ein paar der Ersten davon erfahren. Weil sie den ganzen Tag am Drucker hängen, der die Agenturmeldungen ausspuckt, die von der Agentur auch schon gewichtet wurden. So dass sie nicht einmal mehr das tun müssen. Wer kann es sich heutzutage schon noch leisten, eigene Korrespondenten an die entlegensten Orte der Welt zu schicken, in der Hoffnung, dass dann ausgerechnet vor deren Kameralinsen mal ein Flugzeug abstürzen oder ein kleiner Krieg ausbrechen würde, der die Kosten deckt? Die Zeiten haben sich geändert. Ich wette, die beiden »Watergate«-Enthüller würden sich in der heutigen Zeit dafür entscheiden, Pressesprecher im Weißen Haus zu werden. Bringt einfach mehr Geld, ist einfach die größere Herausforderung. Wieso klinge ich nur so verbittert? Vielleicht war der Journalismus nie das Richtige für mich? Vielleicht habe ich – wenn auch immerhin sehr konsequent – bislang immer nur falsche Entscheidungen
getroffen und gelebt? Auf jeden Fall ist das Leben in den seriösen Zeitungen wohl kaum weniger verlogen als in den von ihnen verachteten Magazinen. Und Juli würde – das nun wieder im Gegensatz zu mir – verdammt gerne für so ein böses, oberflächliches Magazin arbeiten. Deswegen schaut sie jetzt auch betreten zur Seite.
»Wir werden etwas anderes finden, etwas viel besseres«, behauptet Optimistin Tanja. Sie hat tatsächlich im Bioladen gekündigt und geht auch nicht mehr in die Vorlesungen ihres aktuellen Studiengangs. Sie steckt mal wieder mitten in einer heiklen Phase der Neuorientierung.
»Genau«, sagt Peter ganz ernsthaft, »es gilt, die Krise als Chance zu sehen.«
»Darauf trinken wir«, sagt Juli lachend und hebt ihr Gimlet-Glas. »Die Krise als Chance!«
Ach, wie habe ich sie alle vermisst! Wir heben unsere Gläser, wiederholen den Sinnspruch und prosten uns zu.
»Wir haben übrigens noch eine Überraschung für dich.« Juli strahlt.
»Ja«, ergänzt Tanja,
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