Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Titel: Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Seidel
Vom Netzwerk:
vier Seitenhaare über den kahlen Kopf gebürstet. Er strahlt tief bewegte Glückseligkeit aus.
    »Von dem Künstler gibt es noch ein großartiges Bild. Haben Sie das im Raum nebenan schon gesehen?« Aufmunternd blickt er uns an. Vielleicht macht Tanja doch nichts verkehrt, mit dem Kunstding. Vielleicht verstehe ich es nur nicht. Dieser Mann und seine Frau zumindest haben die andächtige Ausstrahlung von Bewohnern eines Sterbe-Hospizes, die gerade wider Erwarten doch noch ein letztes Mal das Meer sehen durften. Ich weiß nicht, was genau sie in dem Bild erkannt haben, aber es muss großartig gewesen
sein, denke ich beinahe ein wenig neidisch. Wenn ich das auch könnte, müsste ich mich jetzt nicht über das Eintrittsgeld ärgern, mit dem man sich vor der Abreise noch mal einen schönen Schwips hätte antrinken können.
    »Nein, das muss ich unbedingt sofort nachholen«, sage ich höflich, »wirklich klasse, dieses Bild. Kommst du mit, Juli?«
    Gemeinsam dackeln wir in den Raum nebenan und stehen direkt vor einer Wand, auf der ein Irrer mit Farbe gewütet hat. Viele riesige rote Farbkleckse wurden mit schwarzem Kugelschreibergekritzel gefüllt. Ein paar knallblaue Quadrate setzen nette Kontrapunkte – oder wie immer man das nennen mag.
    »Nun«, sage ich zu Juli, »ich würde sagen, es ist weniger puristisch als das andere. Vielleicht eine frühe Phase oder so?«
    »Nicht ganz«, Juli kichert. »Das ist die Raufasertapete aus seiner letzten Wohnung, die er in jedem Drogenrausch mit einem neuen Element geschmückt hat. Steht auf der Tafel dahinten.«
    O.k., es ist amtlich, wir sind schreckliche Pfeifen, was die Kunst angeht. Aber es ist doch auch gar nicht zu schaffen, für alles offen zu sein und sich mit allem zu beschäftigen, oder?
    »Meinst du, Tanja ist uns böse, wenn wir uns schon mal in die Cafeteria verdrücken?«, fragt Juli.
    Wir beschließen das Risiko einzugehen.
    Als Tanja, Peter und Toni sich schließlich zu uns gesellen, hat Peter einen echten Geistesblitz. »Heureka!«, ruft er.
    Hat er gerade wirklich »Heureka« gesagt? Das kannte ich bislang nur von verrückten Erfindern aus Comic-Heften
– Professor Bienlein oder Daniel Düsentrieb, um nur die wichtigsten Vertreter zu nennen.
    Peter starrt uns beifallheischend an.
    »Du musst uns an deiner Idee schon teilhaben lassen, damit wir applaudieren können«, sage ich vorsichtig.
    »Na das hier, das ist doch die Lösung für deinen Sir Henry!«
    »Inwiefern, bitte?«
    »Na, er muss doch einfach nur den skurrilen Landlord geben – einen kleinen, klar begrenzten Bereich seines Hauses mit Kuriositäten vollstopfen, die er für Kunst erklärt, und ein bisschen Pressewirbel veranstalten. Entspricht doch absolut dem Bild des adeligen Exzentrikers. Dann noch etwas irisches Grün und so weiter – und schon rennen ihm die Leute die Bude ein. Er kann sogar Eintritt verlangen ... «
    »Und sein Bed & Breakfast neu etablieren ...«, ergänzt Juli versonnen.
    Steh nur ich gerade auf dem Schlauch? Wovon sind alle so begeistert? »Ich weiß nicht, ob ich Sir Henry dazu bekomme, sich Klobrillen an die Wand zu hängen.«
    »Darum geht es doch nicht. Es geht nie um die Gegenstände. Die Geschichte, die wir ihnen verpassen, muss nur gut genug sein«, sagt Peter.
    Ich denke an den alten Herrn, der sich so über die Kugelschreiber-Wurst gefreut hat. Vielleicht hat Peter sogar Recht. Anders als ich hat der Kunstfan sicher keine Kugelschreiberlinie gesehen, sondern einen Zusammenhang mit etwas Größerem. Vielleicht hat er eine Anekdote über den Künstler im Hinterkopf gehabt. Oder er wusste über eine Strömung Bescheid, in der diese Art zu zeichnen ungeheuer bedeutend, nahezu revolutionär war. Oder grausamer:
Es wurde einfach so oft die Bedeutsamkeit des Werks behauptet, dass der Mann sie schließlich geglaubt hat. Es ist doch so: Würde irgendein Ureinwohner von einer weit entfernten Insel vor der Mona Lisa stehen, sähe er nicht viel – nur eine nicht sonderlich attraktive Frau. Dass wir alle das Bild einmal gesehen haben wollen und es aufregend finden, davorzustehen, liegt doch einfach nur daran, dass wir von den Attentaten auf das Gemälde wissen, von den kuriosen Diebstahlversuchen, von der Geheimniskrämerei um die Identität des Models. Auf einmal finde ich Peters Idee richtig gut. Man könnte es eine betrügerische Manipulation nennen, aber, hey – vermutlich ist das ganze Kunstgeschäft auch nichts anderes als eine Mischung aus Zufall und Glück. Und es ist

Weitere Kostenlose Bücher