Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman
dem Essen erzähle ich Juli und Tanja von den vagen Fortschritten in Sachen Zuckermann-Forschung. Die beiden gucken ganz nachdenklich, nachdem ich anhand von Gedichtauszügen ausführlich meine Zweifel an Nellie als Fee ausgeführt habe.
»Hm«, macht Juli, »hast du schon mal dran gedacht, dass zu Zuckermanns Zeiten hier noch andere Frauen gelebt haben könnten als die, die jetzt noch da sind? Solche, die entweder weggezogen oder wie Sir Henrys Schwester gestorben sind? Schränkst du die Auswahl nicht etwas zu sehr ein?«
Verdammt. Der Einwand ist so naheliegend – und ich habe keine Sekunde daran gedacht. In Filmen ist es doch immer so, dass sich die Auflösung innerhalb des winzigen Mikrokosmos befindet, in dem sich die Heldin gerade bewegt. Als Detektivin im echten Leben bin ich wohl doch eine ziemliche Pfeife. Wenn Juli Recht hat, werde ich die Lösung nie finden.
»Guck nicht so traurig«, sagt Juli. »Es heißt ja nicht gleich, dass du falsch liegst, wenn du die Frau hier suchst. Und selbst, wenn du sie nicht findest: Ist es nicht völlig schnuppe, was dieser Zuckermann hier vor vierzig Jahren getrieben hat? Du hast nette Leute kennengelernt. Warum stößt du sie mit so einem Blödsinn vor den Kopf?«
»Weil ich es mir in den Kopf gesetzt habe«, sage ich trotzig.
Weil ich bislang konsequent jeder Idee gefolgt bin. Weil ich nicht so spontan und chaotisch bin wie Juli und weil ich mich auch nicht so treiben lasse wie Tanja. Und ich nicht irre viel Zeit damit vergeude, über Frauenrechte nachzudenken wie Toni. Ich habe mein Studium trotz Nebenjobs in der Regelstudienzeit abgeschlossen, bin danach direkt in ein Volontariat gewechselt, das ich zuvor mit freiem Mitarbeiten vorbereitet hatte. Ich habe mir eine der letzten Festanstellungen in genau der Abteilung geschnappt, in der ich arbeiten wollte. Die einzige Überraschung und Abweichung in meinem Leben war Martin. Und hat es mich weitergebracht? Nein. Im Gegenteil. Stattdessen bin ich nun gezwungen, mein Leben zu überdenken. Eigentlich sollte ich wohl auch meinen bisherigen Weg in Frage stellen und überlegen, ob ich wirklich meinen tiefsten Wünschen gefolgt bin. Aber weil das so eine zermürbende und gewaltige Aufgabe ist, habe ich mir vorher noch schnell eine andere Aufgabe gesucht: in Erfahrung bringen, was genau dieser verdammte Zuckermann hier mit welcher Frau getrieben hat.
Tanja und Juli lachen, nachdem sie eine Weile mein stummes, aber dramatisches Mienenspiel verfolgt haben.
»Jetzt wirkst du fast so verbissen wie deine Mutter. Aber, hey – dann gibt es für dich ja noch Hoffnungen, dass du bald mit einem jungen Schönling durchbrennst«, sagt Juli.
»Ich gehe schlafen«, sage ich knapp und lasse mich auf meine Matratze auf dem Boden fallen. Ich fand es irgendwie fair, Tanja und Juli das Bett zu überlassen. Und wie danken sie mir meine Uneigennützigkeit? Die fieseste aller erdenklichen Gemeinheiten ist doch wohl, eine Frau mit ihrer
Mutter zu vergleichen – und dabei auch noch deren schlechteste Eigenschaften zu betonen. Wo wir uns doch so daran abarbeiten, eben nicht wie unsere Mütter zu werden, und jedes Mal entsetzt zusammenzucken, wenn wir erkennen, dass wir doch einiges übernommen haben. Und meist ausgerechnet die schrecklichsten Eigenschaften. Ach verflixt, wenn eine von diesen ererbten Eigenschaften doch wenigstens die Unvernunft wäre. Dann würde ich wenigstens nicht merken, dass Juli und Tanja eigentlich Recht haben. Was soll der Blödsinn? Warum Moira und Violet mit der Suche nach den Geheimnissen eines Dichters ärgern, der mir bis dahin völlig egal war? Schwer zu sagen. Ich hatte während des Lesens ein ganz merkwürdiges Gefühl – so ähnlich wie in den Bibliotheken: als würde aus dem Brief etwas darum bitten, endgültig abgeschlossen zu werden. Als müsse in der heutigen Zeit noch etwas zu Ende geführt werden. Aber das ist so irrational, dass ich es sicher nicht als Argument anführen werde. Ach, wenn das Leben und man selbst doch etwas eindeutiger wären, dann würde ich beides viel besser verstehen.
Ich schließe die Augen. Aber ein grauenerregendes Geräusch hindert mich daran, erlösenden Schlaf zu finden. Ich wälze mich hin und her, bis ich Juli kichern höre. Dann gibt Tanja mit einem Glucksen zu erkennen, dass sie ebenfalls nicht schlafen kann. Dankbar, nicht die einzige Schlaflose zu sein, lache ich laut los. Peter im Zimmer nebenan schnarcht wirklich unglaublich laut – er erreicht dabei ganz locker eine
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