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Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman

Titel: Ueber den gruenen Klee gekuesst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Seidel
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den Tisch um. »Sie wollten mich täuschen!«, ruft er zornig und zeigt mit den Zeigefinger auf mich, als sei er Jesus im Tempel, der die ruchlosen Pharisäer und Schriftgelehrten in ihre Schranken verweist. Die Gäste drehen sich interessiert zu uns um.
    »Lassen Sie uns auf dem Weg darüber reden«, sage ich beschwichtigend mit gedämpfter Stimme. Er schnappt sich wortlos seinen Mantel und verlässt den Pub. Ich laufe hinter ihm her.
    »Vice, so warten Sie doch ...«
    »Ich reise umgehend ab.«
    »Heute Nacht noch? Sie haben getrunken.«
    »Dann morgen früh.« Er wirft sich den Schal mit großer, beleidigter Geste über die Schulter.
    Meine Güte, was für ein Schmierenkomödiant.

    Bei unserer Rückkehr treffen wir im Kaminzimmer auf meinen Vater, Tanja, Juli, Teresa, und inzwischen hat sich auch Peter dazugesellt. Sie sehen ziemlich fertig aus.
    »Ich hoffe doch, der Hausherr ist wieder wohlauf? Ich ziehe mich nun zurück. Gute Nacht, die feinen Herrschaften.« Vice marschiert mit arroganter Miene an uns vorbei und geht, ohne eine Antwort abzuwarten, die Treppe hinauf. Der Mistkerl! »Was ist denn mit dem los?«, fragt Teresa.
    »Er weiß alles. Er reist morgen ab.« Erschöpft setze ich mich zu den anderen. »Aber erzählt ihr erst mal. Was ist mit Henry?«
    Henry hatte einen Herzinfarkt, daher auch die Bauchschmerzen und die Übelkeit. Das waren die ersten Vorboten. Darauf wäre niemand von uns gekommen. Mein Vater hat ihm die enge Kleidung gelockert und ihn zum Sitzen gebracht. Dann kam endlich der Krankenwagen, und Colin ist mit seinen beiden Tanten im eigenen Auto hinterhergefahren. Für einen Abend ist das erschütternd genug. Ich fasse mein Abenteuer mit Vice deshalb nur knapp zusammen. »Aber das ist jetzt auch schon egal, oder?«, sage ich leise. Mir ist bang. Nach so viel Schauspiel und Spuk kann sich doch nicht wirklich der Tod in unsere fröhliche Mitte geschummelt haben? Das darf nicht sein. Ich kann mir das Schloss ohne Henry überhaupt nicht vorstellen. Und was würde dann aus Moira und Violet? Nun war alles umsonst, was wir auf die Beine gestellt haben. Ich schaue traurig auf die hängenden Köpfe der anderen. Ihnen geht sicher genau das Gleiche durch den Kopf.
    »Nein«, sagt Teresa laut und klar. »Es war gar nichts umsonst! So viel Spaß hatten wir in diesem Haus seit Jahren
nicht mehr. Es war wunderbar, euch hier zu haben, völlig egal, was daraus wird. Das ganze Haus wirkte auf einmal wieder so lebendig.«
    Sie hat Tränen in den Augen. Mein Vater nimmt ihre Hand. Ich gönne es ihnen. Wie es Colin jetzt wohl geht? Teresa hätte aber besser nicht versuchen sollen, uns aufzumuntern. Mit Tanjas Fassung ist es nun endgültig vorbei. Sie ist die Sensibelste von uns und bricht in lautes, gerührtes Schluchzen aus. Ihr Leid ist ansteckend – schon stehen auch Juli und mir die Tränen in den Augen, und sogar Peter ringt um Fassung. Es kommt mal keiner seiner üblichen Sprüche über die zusammengepressten Lippen.
    »Für mich war es auch nicht umsonst«, sagt Juli plötzlich gefasst in die Stille. »Ich meine, es war großartig, Teil dieses verrückten Abenteuers zu sein. Das wird uns ewig zusammenschweißen, oder nicht?«
    Juli hat Recht. Diese kurze Zeit war die bislang unterhaltsamste meines Lebens und wird es womöglich sogar bleiben. Meine Erkenntnis: Es ist gar nicht so existenziell wichtig, ob Martin mit seiner Sekretärin rummacht oder ob Colin sich in mich verlieben könnte. Langfristig kommt es im Leben viel mehr darauf an, Menschen zu finden, mit denen man all das Wunderbare und Schreckliche, was man erlebt, teilen kann.
    »Wer sagt denn, dass es schon beendet ist. Kinder, ihr klingt ja, als wäre Henry schon tot und alles vorbei«, sagt mein Vater und schenkt uns allen einen Drink ein. »Machen wir’s so, wie Henry es machen würde. Hoch mit den Gläsern! Auf Henry!«
    »Auf Henry!«, rufen wir laut gegen unsere Angst an. Ein kurzes mutiges Aufwallen, bevor wir wieder in uns zusammensacken,
um fortan lethargisch auf ein erlösendes Telefonklingeln zu warten.

    Was ist das denn hier? Totentanz?« Die Stimme, die mich Stunden später aus meinen Gedanken reißt, kenne ich. Es ist Moira, die auf uns mit amüsierter Rührung hinabschaut. Colin an ihrer Seite sieht zwar blass aus, aber nicht so zerstört, als ob jemand gestorben wäre. Ich würde ihn so gerne in den Arm nehmen.
    »Hat er es geschafft?«, murmele ich stattdessen.
    »Verzeihung. Wir wollten nicht einfach euer Haus besetzen.

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