Ueber den Himmel hinaus - Roman
zwölfjährige Izzy, die Lena Kopfzerbrechen bereitete. Izzy war frech, frühreif und verrückt nach Jungs, und sie war Annas großes Idol. Jillian war für die Schwächen ihrer Tochter natürlich blind.
»Entschuldige, Jillian, aber ich muss überraschend weg. Ich bin in spätestens zwei Stunden zurück.« Lena schob die Zwillinge bereits durch die Tür.
»Oh, aber gern! Nur herein mit euch, Kinder. Anna und Izzy sind ja schon dicke Freundinnen. Lass dir ruhig Zeit, Lena.«
Wenig später schlug Lena den mittlerweile vertrauten Weg nach Little Ayton ein. Sie hatte einfach immer wieder hinfahren müssen, hatte die Tür rot gestrichen, den Schimmel von den Badezimmerfliesen geschrubbt, die Böden geputzt … Nicht, dass das einen großen Unterschied gemacht hätte, aber es bereitete ihr Freude. Leider erforderte es auch weit mehr Geheimniskrämerei als ursprünglich geplant. Immer wieder hatte sie Briefe versteckt und lahme Ausreden vorgebracht, um sich davonzustehlen. Sam schien bislang keinen Verdacht geschöpft zu haben. Wie es aussah, hatte er endlich sein Tief überwunden. Er spielte wieder Gitarre und redete von Soloauftritten in ihrem Stamm-Pub. »Dann kann der Wirt die Jukebox einmotten«, hatte er gescherzt.
Sie war eine Viertelstunde zu früh, also setzte sie sich auf den Hügel hinten im Garten ins hohe Gras und starrte auf die grünen Weiden hinaus, während sie auf den Dachdecker wartete. Diese Aussicht hatte sich ihr unauslöschlich ins Gedächtnis eingebrannt, seit sie vor einem Jahr zum ersten Mal hier gewesen war. Oft kehrten ihre Gedanken kurz vor dem Einschlafen hierher zurück, als wollte das Haus sie zu sich rufen. Dann fragte sie sich, ob es womöglich ihre Bestimmung war, hier zu leben. Ob es bloß ihre Sturheit und ihr Stolz waren, die sie davon abhielten, sich von Sofi das Geld für die Renovierung zu leihen. Dabei wäre es ein zinsloser Kredit, den sie zurückzahlen konnte, wann immer es ihr passte. Aber wie konnte sie so etwas annehmen?
Zugegeben, inzwischen kam ihr der Gedanke nicht mehr ganz so abwegig vor. Vielleicht würde sie eines Tages doch …
Ein Wagen hielt vor dem Haus, und sie erhob sich und ging nach vorn, um den Dachdecker zu begrüßen.
Doch es war gar nicht der Dachdecker, sondern Sam.
Lena brach der kalte Schweiß aus. »Sam!«, krächzte sie.
Er kam auf sie zu. »Was zum Teufel machst du hier?«
»Wie kommst du denn …«
»Ich habe mir das Auto von einem Kumpel geliehen und bin dir nachgefahren. Du hast dich heute Morgen so seltsam benommen. Du bist schon seit einer ganzen Weile komisch. Auf wen wartest du? Hast du etwa eine Affäre?«
Lena versuchte vergebens, ihn zu beschwichtigen. »Aber nein, ich würde dich niemals betrügen.«
»Was treibst du dann hier? Wem gehört dieses Haus?«
In diesem Augenblick fuhr ein Lieferwagen vor. »Ich erkläre es dir gleich. Warte hier«, sagte sie mit gesenkter Stimme
und ging dann zum Dachdecker, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln, als wäre alles in bester Ordnung. Während der Mann eine Leiter von der Ladefläche hob, kehrte Lena zu Sam zurück, der sie bitterböse anstarrte. Ihr Herz raste.
»Lass uns ein Stück gehen.« Sie marschierte voraus. »Sam, ich … Es ist mein Haus. Grandad hat es mir vererbt.«
Er blieb wie angewurzelt stehen. »Du hast also gelogen, als du behauptet hast, er hätte so gut wie nichts gehabt?«
»Nein, habe ich nicht. Von dem Haus habe ich erst ein halbes Jahr später erfahren.«
Sam rechnete nach. »Du besitzt also seit einem Jahr ein Haus, und du hast mir nichts davon gesagt?«
»Komm weiter.« Er folgte ihr über eine sanfte Böschung und durch ein überwuchertes Feld. Lena versuchte, Sam alles zu erklären. Aber sie wusste, ganz egal, wie sie es formulierte, es würde ihn nicht beschwichtigen. Er hörte ihr mit zusammengepressten Lippen zu und blieb schließlich stehen, um sie mit kalten Augen anzustarren.
»Du bist sauer, oder?«, murmelte sie.
»Das kannst du laut sagen.«
»Ich hoffe, du verstehst mich wenigstens ein kleines bisschen.«
»Ich verstehe sehr gut. Du hältst mich für einen Taugenichts oder für einen Idioten oder beides.«
»Nein, Sam, ich wollte doch nur …«
»Du kannst dein dämliches Haus behalten. Ich will es nicht. Und ich will ganz sicher nicht darin wohnen.«
»Nun sei doch nicht so, Sam. Lass uns darüber reden. Wir sollten …«
»Ich will nichts mehr davon hören«, unterbrach er sie.
»Wenn du es geheim halten willst, bitte. Tu einfach so,
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