Ueber den Himmel hinaus - Roman
denn, er hatte Skin Crawlers gesehen …
Sie straffte die Schultern. Ihr alter Freund Tolja, der
noch immer erfolgreich auf dem Schwarzmarkt handelte, hatte ihr Lewitskis Adresse besorgt. Sie drückte auf die Klingel und wartete ab.
Die Gegensprechanlage knackte. »Ja?«
»Maxim Lewitski?«
»Wer ist da?«
Er klang misstrauisch. Kein Wunder; er war im Begriff, sich als Filmregisseur einen Namen zu machen. Bestimmt wurde er häufig von verzweifelten Schauspielern belästigt, so wie jetzt von ihr.
»Natalie Chernoff. Ich würde Sie gern sprechen.«
Er betätigte ohne ein weiteres Wort den Türöffner. Seine Wohnung befand sich im dritten Stock. Er öffnete und starrte sie an. Er hatte einen Dreitagebart, unfrisiertes kohlrabenschwarzes Haar und ebenso schwarze Augen, und er roch nach Tabak. Natalja stellte überrascht fest, dass er kaum älter war als sie. Er wirkte durchaus attraktiv, auf eine ernste, zerzauste Art und Weise.
Er trug ein langärmeliges blaues Hemd und ausgebeulte Jeans.
»Warum sind Sie hier? Meine Assistentin hat Ihnen doch gesagt, dass ich nicht an einem Treffen interessiert bin.«
»Das habe ich ihr nicht abgenommen.«
Er hielt ihr unbewegt die Tür auf. »Kommen Sie rein.«
Sie folgte ihm in seine unaufgeräumte Wohnung, in der überall Bücher und Unterlagen verstreut waren. Er schob einen Stapel Drehbücher beiseite, damit sie auf dem zerschlissenen Ledersofa Platz nehmen konnte. »Wollen Sie etwas trinken?«, fragte er und verschwand in der Küche, ohne ihre Antwort abzuwarten. Auf einer Kommode stand ein großes gerahmtes Foto von einer lächelnden Blondine
mit zwei kleinen dunkelhaarigen Mädchen, die ohne Zweifel seine Töchter waren. Sie waren ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Er kehrte mit zwei Gläsern Wodka zurück und reichte ihr eines, blieb aber stehen.
»Meine Frau und meine Töchter«, sagte er. »Wir sind getrennt, sehr zu meinem Leidwesen.«
»Das tut mir leid.« Sie dachte an Lena, und sofort meldete sich wieder ihr Gewissen. »Die Mädchen sind goldig.«
»Die Ältere ist sehr intelligent, aber ihr Temperament …« Er schüttelte lachend den Kopf. »Lassen wir das. Wenn ich über meine Kinder rede, lasse ich mich allzu leicht aus der Reserve locken.«
»Ist das denn so schlimm?«
Er musterte sie mit verdrießlicher Miene. »Ein ganzes Jahr lang war ich Ihnen nicht gut genug, Natalie. Bis Sie einen schlechten Film gedreht haben, der beim Publikum durchgefallen ist, und jetzt kreuzen Sie plötzlich hier auf. Gehe ich recht in der Annahme, dass ich Ihre letzte Hoffnung bin?«
Natalja wäre am liebsten im Boden versunken. Er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Sie war kreuzunglücklich, seit sie wieder in Sankt Petersburg war. Sie hatte gehofft, hier Trost zu finden, doch die Vertrautheit der Stadt erinnerte sie lediglich an ihre Niederlage. Der einzige Lichtblick war die Tatsache, dass es hier einen ernst zu nehmenden Regisseur gab, der sie einmal hatte engagieren wollen.
»Nein, nein«, protestierte sie. »Ich habe bloß abgelehnt, weil ich in London bleiben wollte. Aber jetzt bin ich in meine Heimat zurückgekehrt und bereit für eine Zusammenarbeit.«
Lewitski setzte sich, leerte sein Glas in einem Zug und rieb sich mit dem Handrücken das stoppelige Kinn. »Ich
hatte eine Rolle für Sie, Natalie. Nachdem Sie mir einen Korb nach dem anderen gegeben hatten, habe ich das Projekt auf Eis gelegt. Ich konnte mir keine andere Darstellerin in dieser Rolle vorstellen.«
Sie strahlte. »Ach wirklich?«, fragte sie. »Und bitte, nennen Sie mich Natalja.«
»Tja, Natalja, nachdem Sie diesen grauenhaften Film gemacht haben, ist Ihnen die Rolle erst recht auf den Leib geschrieben.«
Natalja wurde argwöhnisch. »Was ist es denn für eine Rolle?«
Er nahm ein Drehbuch von einem der Stapel und drückte es ihr in die Hand. A Home in the Soul stand in unverschnörkelter Schrift auf dem Deckblatt.
»Lilja, eine verblühende Schönheit, die auf die Vierzig zugeht, war in ihrer Jugend eine große Herzensbrecherin, und es macht ihr sehr zu schaffen, dass sie ihre Macht über die Männer eingebüßt hat. Sie tut ihr Menschenmöglichstes, um ihre sexuelle Anziehungskraft wiederzuerlangen, begreift aber nicht, dass ihre Eroberungen ihre Verzweiflung nur noch deutlicher zutage treten lassen. Mit der Zeit verfällt sie in eine lähmende Depression. Dann lernt sie Arkadi kennen, der an einer tödlichen Hirnkrankheit leidet, und durch diese Liebe findet sie Erlösung«,
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