Ueber den Himmel hinaus - Roman
zusammenkamen, als wäre nichts passiert. Wie es aussah, hatte sie Kontakt zu Natalja, und diese wollte sich wohl mit Lena versöhnen. Aber das konnte sie sich abschminken.
»Vergiss es«, stieß sie hervor. »Ich will sie nicht sehen. Ich rede nie wieder ein Wort mit ihr.«
»Schon gut«, lenkte Sofi ein. »Entschuldige, ich wollte dich nicht verärgern.«
Nach dem Telefonat, nachdem die Kinder endlich gebadet im Bett lagen, schob Lena einen Stuhl ans Wohnzimmerfenster und sah zu, wie das sanfte Dämmerlicht draußen allmählich in Finsternis überging. Sie ließ den Wein in ihrem Glas kreisen und dachte über Sofis Bemühungen nach, eine Versöhnung mit Natalja herbeizuführen. Sie konnte es eben nicht verstehen. Lena hatte auf einen Schlag sowohl ihren Ehemann als auch ihre Schwester verloren. Es wäre fast einfacher für sie gewesen, wenn die beiden gestorben wären, dann hätte sie ihren Tod betrauern und irgendwann darüber hinwegkommen können. Doch so musste sie stets der Versuchung widerstehen, ihnen zu verzeihen
und damit zu zeigen, dass sie schwach war und sich alles gefallen ließ. Was sollte die beiden dann noch davon abhalten, es wieder zu tun?
Lena ballte die freie Hand zur Faust, sodass sich ihre Fingernägel in die Handfläche bohrten, und leerte ihr Glas, um den Schmerz hinunterzuspülen.
Sofi hatte gerade die Kerzen angezündet, als es an der Tür klopfte. Julien kam früher als erwartet. Rasch knipste sie das Licht aus und sah sich im Esszimmer um. Perfekt für ein romantisches Abendessen. Nikita war im Bett, und Mama hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen, damit sie diesen wichtigen Abend in trauter Zweisamkeit mit Julien verbringen konnte. Sie hatten sich ein Jahr nicht gesehen.
Sie eilte zur Tür und riss sie auf. »Hast du den Schlüssel vergessen?«
Julien trat einen Schritt näher, schlang die Arme um sie und drückte sie an sich. Er roch anders als sonst, vielleicht eine neue Seife oder ein neues Shampoo. Sie schmiegte sich an ihn und war unendlich froh, ihn wieder hier zu haben.
»Hast du etwa gekocht?«, fragte Julien, als er sich endlich von ihr losmachte.
»Dinner for two«, sagte sie. »Komm rein.«
Beim Essen konnte sie kaum den Blick von ihm abwenden. Er kam ihr so unwirklich vor. Die Entfernung hatte sie entfremdet, aber es war schön, einander neu kennenzulernen. So sehr sie die Trennungen hasste, musste Sofi doch zugeben, dass dieser Aspekt ihrer Ehe immer wieder neue Frische verlieh. Als sie schließlich ins Schlafzimmer gingen, um sich zu lieben, war er endgültig wieder zu Hause angekommen.
»Schade, dass mein Flugzeug erst so spät gelandet ist«, sagte Julien, als sie danach eng umschlungen dalagen. »Ich hätte Nikita gern noch gesehen.«
»Es wird auch morgen früh noch eine schöne Überraschung für ihn sein. Er hat einiges für dich gemalt.«
Im Gegensatz zu Juliens Kunstwerken waren Nikitas Bilder ausschließlich nüchterne Abbildungen des Gesehenen, realistisch und detailgetreu. Sofi achtete darauf, mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Jeden Nachmittag saßen sie einträchtig am Esstisch und malten. Er war nach wie vor kein anhängliches Kind, schien manchmal kaum zu bemerken, dass sie da war. Aber er wirkte deutlich entspannter und legte nicht mehr so großen Wert auf die Einhaltung seines strikt geregelten Tagesablaufs.
Julien rollte sich auf die Seite. »Ich habe über die Probleme mit deinen Cousinen nachgedacht.«
»Und?« Sofi wusste nie so recht, wie viel von ihrem Geplauder er bewusst wahrnahm, wenn sie telefonierten.
»Mir ist eine Lösung eingefallen. Solange sich Lena weigert, zu eurem alljährlichen Treffen zu kommen, besteht keine Chance auf eine Aussöhnung mit Natalja, richtig?«
»Richtig. Lena ist zu wütend oder zu stolz oder … was auch immer. Aber ich hätte sie so gern beide hier, um ihnen wenigstens eine Möglichkeit zu bieten, Frieden zu schließen.«
»Es ist ganz einfach: Du versprichst Lena, für die Renovierung ihres Hauses aufzukommen, wenn sie kommt. Dieses Angebot wird sie nicht ablehnen.«
»Das kann ich nicht machen.«
»Warum nicht? Der Zweck heiligt die Mittel, oder?«
Sofi schüttelte den Kopf. »Und außerdem glaube ich nicht, dass Lena das Angebot annehmen würde.«
»Wann hast du sie zuletzt darauf angesprochen? War das noch vor der Trennung, oder war sie da bereits alleinerziehende Mutter?« Julien streichelte ihr übers Haar. »Versuch es. Vielleicht erlebst du ja eine Überraschung.«
Sofi starrte in
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