Ueber den Himmel hinaus - Roman
der Dunkelheit an die Decke und überlegte. Sie konnte das Geld entbehren. Und für Lena wäre es eine Chance auf zweifaches Glück - sie könnte ihre eigenen vier Wände beziehen und sich mit ihrer Schwester aussöhnen. Sie würde Lena anrufen, gleich morgen. Und falls sie ablehnte, auch am Tag darauf. Jeden Tag, wenn es sein musste. Diesmal würde sie kein Nein akzeptieren.
Es war Herbst geworden in Sankt Petersburg. Das Wetter war feucht, rote und goldene Blätter schwammen in den Pfützen, mit denen der Bürgersteig am Newski-Prospekt übersät war. Natalja war auf dem Weg zu einem Restaurant namens Tswjet und versuchte vergeblich, sich in ihren neuen Wildlederstiefeln keine nassen Füße zu holen. Maxim hatte sie endlich, endlich gefragt, ob sie mit ihm Essen gehen wolle. Während der Dreharbeiten hatte er hartnäckig Distanz gewahrt. Erst hatte sie angenommen, er tue es absichtlich, um noch begehrenswerter zu wirken. Doch ihr war bald klar geworden, dass Maxim Lewitski keine Spielchen spielte, und sie hatte ihn dafür nur umso mehr bewundert. Ihr war jede Ausrede recht gewesen, um ihm nahe zu sein, mit ihm zu reden, ihn zu berühren. Doch zu ihrer großen Verblüffung hatte er nicht das geringste Interesse an ihr signalisiert.
Nach dem Abschluss der Dreharbeiten war sie schließlich kühn auf ihn zugegangen und hatte gesagt: »Ich will nicht hoffen, dass wir uns heute zum letzten Mal gesehen haben.«
»Dann gehen Sie mit mir essen«, hatte er beinahe nonchalant geantwortet, und ihr Herz hatte einen regelrechten Salto vollführt.
Wie kam es dann, dass sie so spät dran war? Sie hatte eben absolut umwerfend aussehen wollen. Dreimal hatte sie sich umgezogen, und dann hatte sie wegen eines heftigen Regenschauers die Metro verpasst. Hoffentlich deutete Maxim ihre Verspätung nicht als Desinteresse! Vor dem Restaurant angelangt, atmete sie einmal tief durch. Sie spähte durch das Fenster ins Innere und stellte fest, dass sie viel zu schick angezogen war. Maxim hatte ihr erzählt, das Tswjet sei sein Lieblingsrestaurant, und sie war automatisch davon ausgegangen, dass es nobel und spärlich beleuchtet sein würde, mit gestärkten Tischdecken. Stattdessen tummelten sich hier rudelweise Arbeiter, ältere Frauen aus der Mittelschicht, die ihre besten beigefarbenen Schuhe trugen, und genervte Mütter, die versuchten, ihre Kinder im Zaum zu halten. Sie sah an sich hinunter. Selbst das dezente Armkettchen, das ihr Sofi zur Aufmunterung geschickt hatte - türkisfarbener Amazonit als Symbol der Hoffnung -, war ein Designerstück, das zwangsläufig Aufmerksamkeit erregte. Seufzend stieß sie die Tür auf und ging hinein.
Sie sah sich nach Maxim um, konnte ihn aber nirgendwo entdecken. Einen Augenblick später tauchte er hinter ihr auf. Seine Haare waren nass.
»Entschuldigen Sie, ich bin spät dran«, sagte er.
»Ich bin selbst gerade erst gekommen. Haben Sie einen Tisch reserviert?«
Er lachte. »Nein, wir suchen uns einfach einen Platz, und bestellt wird an der Bar. Tut mir leid, wenn hier alles etwas anders läuft, als Sie es gewohnt sind.«
Anders war es in der Tat. Seit sie mit Rupert zusammen gewesen war, hatte sie bei jeder Verabredung stets am besten Tisch im ganzen Lokal gesessen, während das Personal um sie herumgewieselte, um ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Und ihr Gegenüber war stets irgendein von oben bis unten durchgestylter, hübscher, aber hohlköpfiger Mann gewesen. Maxim trug verwaschene Jeans und abgestoßene Doc Martens, und an seinem weißen Hemd fehlte ein Knopf. Das Essen schmeckte fade, der Wein billig, und doch hatte sich Natalja bei einer Verabredung noch nie so blendend amüsiert.
»Was halten Sie von einem Spaziergang?«, fragte Maxim, nachdem sie zur Krönung ein klebriges Dessert verdrückt hatte, auf das sie besser hätte verzichten sollen.
»Wohin denn?«
»Zu mir«, erwiderte er. »Wenn Sie möchten.«
Nataljas Herz flatterte. »Gern.«
Sie gingen über die Dreifaltigkeitsbrücke. Die Turmspitze der Peter-und-Paul-Kathedrale ragte in den nächtlichen Himmel. Sie unterhielten sich über den Film, über ihre Arbeit, ihr Leben. Es herrschte eine klamme Kälte, die Natalja vor Verliebtheit kaum bemerkte. Maxim nahm ihre Hand, und das Begehren, das von ihr Besitz ergriff, war so heftig, dass sie beinahe nach Luft geschnappt hätte. Es waren nur seine Finger, die die ihren umschlossen, aber sie hatte noch nie eine derart erregende Berührung erlebt.
Er hatte
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