Ueber den Himmel hinaus - Roman
habe noch keine Minute hier gesessen.«
Er winkte sie zu sich. »Was suchst du denn? Das Gesicht, das du mit zwanzig hattest? Das kommt nicht wieder.«
»Findest du mich schön?«
»Ja.«
Sie legte sich zu ihm, rollte sich neben ihm zusammen, und er streichelte ihr übers Haar.
»Liebst du mich?«
»Ja.«
Sie schmiegte sich an ihn. Vielleicht würde sie nie ein glamouröser Hollywoodstar werden, nie in der ersten Liga
mitspielen. Doch damit konnte sie leben, solange Maxim an ihrer Seite war.
Es war der erste Juni, der Sommer hatte begonnen. Nikita lag nun schon seit einem halben Jahr im Koma. Auf den Winter der Albträume war der Frühling des Zorns gefolgt, und nun … Sofi kämpfte noch dagegen an, spürte aber, dass sie im Begriff war, sich mit der Situation abzufinden. Sie war müde.
Sie war in Begleitung von Julien gekommen, der gerade drei Tütchen Zucker in seinen tiefschwarzen Kaffee rührte. Er war einige Tage nicht in seinem Atelier gewesen und hatte auf der Fahrt nach Loudun die meiste Zeit geschwiegen. Er befand sich offenbar im Niemandsland zwischen einer Idee und der Ausführung. Sofi kannte diesen Zustand; seit Nikitas Unfall hatte sie selbst nur hie und da ein paar Stunden in der Werkstatt verbracht.
Sie ging zu ihm, rieb ihm die Schulter. »Alles in Ordnung?«
Er drehte sich matt lächelnd zu ihr um, holte tief Luft, als wollte er etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders. Rührte heftig seinen Kaffee um. Sofi bekam eine Gänsehaut.
»Julien? Was ist los?«
»Ich habe eine Einladung bekommen«, gestand er ihr. »Nach Los Angeles.«
Sie starrte ihn mit offenem Mund an. Er hatte sich um einen weiteren Auslandsaufenthalt beworben? Sie musste sich verhört haben.
»Du willst nach Los Angeles?«
»Das gehört zu meiner Arbeit«, verteidigte er sich. »Ich fahre ins Ausland und male.«
»Unser Sohn liegt in einem Krankenhausbett, im Koma.«
»Genau das ist es ja, Sofi. Es ändert sich nichts. Wir fahren jeden Tag hierher …«
» Ich fahre jeden Tag her. Du kommst bloß zwei oder dreimal pro Woche mit.«
»Aber unser Leben muss irgendwann weitergehen. Wir wissen nicht, wie lange Nikita noch im Koma liegen wird.« Er senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Er wird mich nicht vermissen.«
Doch diesmal würde sie es nicht zulassen.
»Nein, Julien«, sagte sie. »Das erlaube ich nicht.«
»Kannst du mich denn davon abhalten?«, fragte er sanft.
Sie betrachtete ihn im grellen Licht der Teeküche. Die vergangenen zehn Jahre hatten Spuren in seinem Gesicht hinterlassen, seine Haare waren dünner geworden. Und trotzdem hatte er sich kein bisschen geändert. Er war noch genauso glatt und undurchschaubar, wollte möglichst keine emotionalen Verpflichtungen eingehen. Sie hatte die Nase voll.
»Wenn du nach Los Angeles gehst, wirst du bei der Rückkehr ein leeres Haus vorfinden.«
Er riss die Augen auf. »Du würdest mich verlassen?«
»Ja. Ich weiß, wie schwer es ist, Nikita hier liegen zu sehen, ohne zu wissen, wann und ob er je wieder zu uns zurückkehren wird. Aber nur weil du vor unseren Problemen davonläufst, lösen sie sich nicht einfach in Luft auf. Du kannst nicht nach Los Angeles. Ich verbiete es dir.«
Er betrachtete sie schweigend. Sie wäre beinahe schwach geworden.
Dann fing er zu ihrer Verblüffung an zu lachen. »O Sofi«, sagte er. »Das fühlt sich gut an.«
»Was?«
»Du hast mir die Entscheidung abgenommen.« Er breitete die Arme aus. »Was für eine Erleichterung.«
»Ich verstehe nicht …«
»Ich habe dir nicht alles gesagt.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe seit einer Ewigkeit nicht gemalt. Seit dem Unfall. Ich setze Pinselstriche auf die Leinwand, aber sie bedeuten nichts.«
Er hatte nicht gemalt? Aber er verbrachte Stunden in seinem Atelier … Allerdings hatte sie schon eine ganze Weile kein fertiges Bild mehr gesehen. Es war ihr gar nicht aufgefallen.
»Als das Angebot aus Los Angeles kam, dachte ich, vielleicht würde mir das helfen, meine Blockade zu überwinden. Aber du hast mir klargemacht, was jetzt wirklich wichtig ist: mein Dasein als Mensch. Schließlich ist jeder Künstler in erster Linie auch Mensch.« Er nahm ihre Hand. »Kannst du mir meine Unentschlossenheit noch einmal verzeihen?«
Sie seufzte und drückte seine Hand. »Wenn ich könnte, würde ich auch alles hinter mir lassen; den Schmerz, den Groll … die Schuldgefühle.«
»Ich trage die Schuld an allem. Ich hätte ihn nicht mit Lena allein lassen sollen.«
»Ich
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