Ueber den Himmel hinaus - Roman
Reihe.«
Wie aufs Stichwort schwang die Tür auf, und Lena hopste herein. Natalja und Sofi verstummten schuldbewusst. Lena hatte sich die glatten, dunklen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und sah aus wie ein Teenager. Natalja spürte, wie ihr Beschützerinstinkt erwachte. Dann bemerkte sie Lenas versonnenes Lächeln, während sie sich die Schuhe auszog.
Da steckte eindeutig ein Mann dahinter. Sie kannte ihre Schwester.
»Hallo«, trällerte Lena. »Ihr wirkt ja so ernst.« Sie ging in die Küche und öffnete den Kühlschrank. »Haben wir noch Milch?«
Sofi erhob sich. »Ja, ganz hinten. Mach uns doch allen einen Kaffee … Wir müssen mit dir reden. Über unser Geld.«
Während sie Kaffee tranken, legte Sofi ihrer Cousine die Situation dar. Natalja saß auf der Kante des Sessels, der so hart war wie das Sofa durchgesessen, und wartete auf das unvermeidliche »Ich auch!« ihrer Schwester.
Doch zu ihrer Überraschung zuckte Lena bloß mit den Schultern. »Klingt doch vielversprechend.«
»Sobald Natalja ihren ›Kredit‹ zurückgezahlt hat, was nicht allzu lange dauern sollte, kommst du dran«, sagte Sofi.
»In Ordnung. Ich vertraue euch.«
»Du bist ja so gut gelaunt«, stellte Natalja fest.
Lena führte die Tasse zum Mund, um ihr Lächeln zu verbergen. »Man hat mir gerade einen Job angeboten, in dem Zeitungsladen vorn an der Ecke. Drei Nachmittage die Woche.«
»Ich wusste gar nicht, dass du auf der Suche nach einem Job warst«, sagte Sofi.
»Wusste ich selber nicht. Aber ich langweile mich, und auf diese Weise kann ich Englisch üben.«
Lena sprach nur ungern über ihr Liebesleben, doch Natalja wusste die Zeichen zu deuten: Bestimmt arbeitete der Mann, der das Lächeln auf ihr Gesicht gezaubert hatte, ebenfalls in dem Laden.
Wie es aussah, hatte somit jede von ihnen bekommen, was sie haben wollte.
Lena stand in einem großen, verrauchten Pub in St Albans und trat von einem Fuß auf den anderen. Ihr taten die Beine weh, und außerdem fühlte sie sich in ihren Stöckelschuhen und dem geblümten Kleid äußerst unwohl. Sie hatte sich schick gemacht, für Sam, was hier völlig fehl am Platz war. Die anderen Anwesenden trugen durch die Bank Secondhandklamotten, Batik-T-Shirts, Flanellhemden und Doc Martens.
Sams Band, die Velvet Ponies, mit Sam an der Gitarre, Chris am Schlagzeug und James am Bass, nahm an einem Musikwettbewerb in St Albans teil. Lena war am Nachmittag mit den dreien hergefahren und hatte es sehr genossen, neben Sam auf dem Rücksitz des verrauchten Lieferwagens zu sitzen, der dem Vater des Schlagzeugers gehörte. Aus dem Radio hatte Musik gedröhnt, während Sam und seine Bandkollegen die Reihenfolge der Lieder festgelegt und sich ausgemalt hatten, welche davon sie aufnehmen würden, falls sie den Hauptpreis gewinnen sollten. Lena und Sam waren bislang einmal miteinander ausgegangen und hatten sich danach vor ihrer Haustür geküsst. Aber es fühlte sich bereits an, als wäre es etwas Festes. Sam hatte sich aus dem Sicherheitsgurt geschält und sich an sie geschmiegt, um ihr Ohr zu küssen und ihren Arm zu streicheln.
Sie hatten sich im Zeitungsladen kennengelernt. Sam hatte gerade draußen Werbeplakate für irgendwelche Illustrierten aufgehängt, als sie vorbeigekommen war. Kaum hatte sie ihn gesehen, da war es um sie geschehen. Sie war hineingegangen, um Stifte zu kaufen, die sie nicht benötigte, und gleich darauf war er am Tresen vorbeigekommen und hatte ihr ein träges, jungenhaftes Lächeln geschenkt, das auf sie wirkte wie die Kostprobe einer wunderbaren
Droge. Sie hatte sich beim Ladeninhaber erkundigt, ob er zufällig noch Personal benötigte, und er hatte ihr eine Teilzeitstelle angeboten. Und schon hatte sie sich erfolgreich in Sams Welt hineinkatapultiert.
Gerade als Lena das Gefühl hatte, sich keine Minute länger auf den Beinen halten zu können, betraten die Velvet Ponies endlich die Bühne.
»Hallo Leute! Alles klar?«, sagte Sam ins Mikrofon. Betrunkenes Gegröle. Lena hatte die Hände zu Fäusten geballt. Sie wusste, wie wichtig ihm dieser Wettbewerb war. Sie holte tief Luft und versuchte, sich zu entspannen. Die Band begann zu spielen.
Sam war aus einer kleinen Stadt an der Nordküste nach London gezogen, um Popstar zu werden. Zurzeit schlief er bei James, dem Bassisten, auf dem Sofa, und er war überzeugt, dass sie es schaffen würden. Lena glaubte felsenfest an ihn und bewunderte seine zuversichtliche Leidenschaft. Doch als sie die Velvet
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