Ueber den Himmel hinaus - Roman
Rolle besser verstehen, wenn du das Drehbuch ein paarmal durchlesen würdest. Es reicht nicht, wenn du es nur stellenweise auswendig lernst.«
»Ich versuche es ja«, stöhnte Natalja. »Ich gebe mir solche Mühe, aber es ist so schwer! Die Wörter sehen alle gleich aus, und die Aussprache ist so verschieden! Auf Russisch wird fast alles so geschrieben, wie es ausgesprochen wird.«
»Übung macht den Meister.« Sofi holte tief Luft und sprach aus, was ihr durch den Kopf ging. »Ich verbringe so viel Zeit damit, dir zu helfen, dass ich gar nicht zu meinen Arbeiten komme.«
Natalja riss die Augen auf, als würde ihr erst jetzt bewusst
werden, wie viel sie Sofi abverlangte. »Oh. Verstehe. Tut mir leid … Aber du hast gesagt, du würdest mich managen.«
»Mir war nicht klar, dass das so zeitaufwendig sein würde.«
Natalja presste nachdenklich die Lippen aufeinander. »Ein Manager sollte bezahlt werden«, sagte sie schließlich tapfer auf Englisch. »Das ist Problem, ja? Dass du arbeitest gratis?«
»Ich … Ja, ich schätze, das ist das Problem.«
»Das lässt sich ändern. Ich zahle dich, Hälfte von meiner Gage.«
»Die Hälfte? Das ist viel zu viel, Natalja.«
»Dann die Hälfte von der Hälfte. Das ist fair.«
»Ein Viertel von deiner Gage?«
»Für diese Rolle. Einverstanden?«
Sofi überlegte. Es wäre gutes Geld, das sie in ihr Geschäft investieren konnte - in Onyx, Bernstein, Amethyst und Türkis … Aber konnte sie das Angebot wirklich annehmen?
»Bitte, Sofi, ich brauche dich sehr.«
»Also gut«, willigte Sofi ein. »Einverstanden.«
»Dann lass uns die Hand schütteln, wie richtige Geschäftspartner.« Natalja umfing mit ihren langen, schmalen Fingern Sofis Hand und schüttelte sie kräftig. Dann erhob sie sich. »Ich gehe und versuche allein zu lesen, Tatjana besser zu verstehen.«
»Gute Idee.«
Als ihre Cousine weg war, gesellte sich Sofi zu Julien. Das Blatt auf seinem Schoß füllte sich allmählich. Sie saß neben ihm und wartete ab, bis er fertig war und sie bemerkte.
Schließlich hob er den Kopf und blinzelte, als wäre er gerade aus einem Traum erwacht. »Natalja ist gegangen?«
»Ja.«
»Sie ist fürchterlich dünn. Isst sie überhaupt etwas?«
»Nur morgens und mittags. Abends nie.«
»Zu schade. Wenn sie ein bisschen zunehmen würde, wäre sie beinahe hübsch.«
Sofi schlang ihm lachend die Arme um den Hals und küsste ihn.
»Vorsicht, Vorsicht!«, mahnte er sanft und legte den Zeichenblock beiseite.
Sofi lehnte den Kopf an seine Schulter und wünschte, sie könnte die Zeit anhalten. Ohne Julien würde das Leben furchtbar öde sein.
KAPITEL 15
Draußen nieselte es unaufhörlich. Natalja und Sofi saßen am Tisch und gingen gemeinsam das gesamte Drehbuch durch, von der ersten bis zur letzten Zeile. Besser gesagt, Natalja las, und Sofi korrigierte sie. Natalja kam sich dabei vor wie früher in der Schule - überfordert, verwirrt und abgelenkt zugleich. Sie hasste dieses Gefühl. Sie war nicht dumm, obwohl sie von anderen des Öfteren dafür gehalten wurde. Sie selbst fand sich sogar ziemlich clever. Sie war seit jeher in der Lage gewesen, Situationen blitzschnell einzuschätzen, anhand der Körpersprache ihres Gegenübers zu erkennen, was von ihr erhofft oder erwartet wurde, und sich entsprechend zu verhalten. Sie schaffte es immer, ihre Mitmenschen so für sich einzunehmen, dass sie ihr praktisch
jeden Wunsch von den Augen ablasen. Okay, fast immer. Bei diesem eingebildeten kleinen Franzosen, mit dem ihre Cousine ausging, hatte sie bisher kein Glück gehabt. Was fand Sofi bloß an ihm?
»Du bist geistig schon wieder woanders«, tadelte Sofi sie sanft. Seit sie für ihre Hilfe bezahlt wurde, war sie viel geduldiger.
»Tut mir leid. Ich brauche Tasse Tee. Du auch?«
Sofi streckte sich gähnend. »Ja, gern.«
»Warst du gestern wieder zu lange auf?«
Sofi nickte. »Ich möchte bis zum Markt am Wochenende möglichst viele Stücke fertigstellen.«
Das Telefon klingelte. Sofi erhob sich, um ranzugehen, während Natalja auf der Suche nach dem Zucker vor dem Küchenschrank in die Knie ging. Nein. Kein Zucker mehr. Sie musste anfangen zu denken wie ein Fernsehstar.
Einen Augenblick später stand Sofi neben ihr. »Es ist Rupert.«
Rupert. Natalja wusste nicht, warum ihr Herz plötzlich raste. Fürchtete sie, er könnte seine Meinung geändert haben? Sie hatte einen Vertrag. Er konnte sie nicht feuern.
Sofi lachte und flüsterte: »Keine Sorge, er will uns zum Tee
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