Ueber den Himmel hinaus - Roman
niemals äußern würde. Natalja hatte diesbezüglich ganz andere Ansichten.
Die Hebamme stellte ihr Dutzende Fragen, darunter einige, die für Lenas Geschmack fast zu persönlich waren, um sie vor Sam zu beantworten. Andererseits wurden sie demnächst Eltern. Sie würden so gut wie alles voneinander wissen. Schließlich wurde Lena in den Nebenraum geführt.
»Es ist noch etwas zu früh, um die Herztöne zu hören«, erklärte die Hebamme, während sie das Ultraschallgerät vorbereitete. »Legen Sie sich hin; ich schicke die Geburtshelferin rein. Sie wird sich davon überzeugen, dass Sie wirklich ein Baby bekommen und dass es ihm gut geht.«
Die Zeit stand still, während Lena auf der schmalen Liege wartete. Endlich trat eine hübsche, sehr gepflegte Ärztin ein, begrüßte sie knapp und begann mit der Untersuchung. Aufs Äußerste gespannt starrte Lena auf den Bildschirm. Endlich erschien darauf ein undefinierbares graues Etwas. Die Ärztin kniff nachdenklich die Augen zusammen.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Sam besorgt.
»Ja, ja. Sehen Sie das hier?« Sie zeigte auf einen weißen Fleck. »Das ist der eine Kopf … Und das ist der andere.« Sie deutete auf einen ähnlich geformten Fleck daneben.
Lena begriff nicht gleich, was sie damit sagen wollte. War das vielleicht eine ihr unbekannte englische Redewendung? Doch Sam hatte verstanden. Er war leichenblass und wirkte plötzlich sehr jung. So musste er als achtjähriger Junge ausgesehen haben. Dann fand er seine Stimme wieder. »Ist das Ihr Ernst? Zwillinge?«
»Ganz recht.« Die Ärztin zwinkerte. »Meinen Glückwunsch.«
Sie ging kurz hinaus, und Lena zog sich wieder an und fing auf den Schreck hin an zu weinen. Sam nahm sie in den Arm.
»Hey, keine Sorge. Das wird schon irgendwie.«
»Zwei Babys! Wie soll das gehen?«
»Wir mieten uns eine kleine Wohnung. Ich werde mehr arbeiten.«
»Und die Band?«
»Wir proben ohnehin bloß abends oder am Wochenende. Und sobald wir den ersten Plattenvertrag haben, können wir in eine größere Wohnung umziehen und ein Kindermädchen einstellen. Am Anfang wird es bestimmt nicht einfach sein, aber wir schaffen das.«
Er hat recht, dachte Lena. Wenn Natalja eine Rolle in einer Fernsehserie ergattert hatte, dann würde Sams Band einen Plattenvertrag bekommen. Der Gedanke an Natalja erinnerte sie daran, wie schnell sie sich von ihren Träumen hatte ablenken lassen, und jetzt war sie bereits viel zu weit davon entfernt. Sie musste dafür sorgen, dass Sam seine Ziele nicht auch einfach über Bord warf. Sie würde die Fantasien von ihrem Dasein als Ehefrau eines Popstars zwar ein wenig korrigieren müssen, aber bei Harrods gab es schließlich nicht nur Designermode, sondern auch Babykleider.
Sie brachte ein Lächeln zustande. »Stimmt. Wir schaffen das.«
Die Hebamme kehrte mit einem Foto der Zwillinge zurück. Lena konnte darauf keine Körperteile erkennen. Hieß das, dass sie eine schlechte Mutter war?
»Hier, für Ihre Mutter.« Die Hebamme reichte Sam das Bild.
»Sie wird total aus dem Häuschen sein«, sagte er.
»Sie wird darauf bestehen, dass wir bei ihr einziehen«, warnte ihn Lena.
»Keine Sorge«, beruhigte er sie. »Das kommt nicht in Frage. Versprochen.«
Es war ein kühler, klarer Tag, der Winter war hereingebrochen. Sofi und Julien saßen auf einer Parkbank gegenüber von der Wohnung, die die drei Cousinen sich teilten. Sofi beobachtete die Mütter, die mit ihren Kinderwagen durch den Park spazierten, die vorbeieilenden Jogger, die Hunde, die ihre Herrchen an der Leine hinter sich her zerrten. Sie wagte es nicht, Julien zu stören, der mit einem Skizzenblock auf dem Schoß frustriert neben ihr saß und über seine mangelnden Fähigkeiten klagte. Die Sonne schien matt vom zartblauen Himmel. Julien hatte sich bereits mehrfach über die Kälte beschwert, doch Sofi hatte ihn ausgelacht. Wenn ihr der Schnee nicht mindestens bis zu den Knöcheln reichte, war für sie nicht richtig Winter.
Sie saßen hier draußen, um frische Luft zu schnappen und ein wenig Zweisamkeit zu genießen. In Juliens Einzimmerapartment roch es so stark nach Ölfarben, dass Sofi davon Kopfschmerzen bekam, und bei ihr zu Hause herrschte zu viel Betrieb. Wenn Natalja und Lena außer Haus waren, saß Sofi stundenlang mit Julien am Tisch, jeder schweigend in seine Arbeit vertieft. Doch in letzter Zeit war Lena, deren Bauch allmählich sichtbar anschwoll, oft zu müde, um arbeiten zu gehen. Vorhin hatte sie wieder einmal mit
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