Ueber den Himmel hinaus - Roman
einladen.«
Erleichtert nahm Natalja den Hörer in die Hand. »Hallo?«
»Natalja, ich habe Ihre Cousine gerade gefragt, ob Sie mich nicht im Ritz auf eine Tasse Tee treffen wollen. Sie hat mir einen Korb gegeben, aber ich hoffe doch, Sie kommen.«
»Ich … Ja, ich komme gern.«
»Gut, ich hole Sie in dreißig Minuten ab. Ziehen Sie etwas Hübsches an.« Aufgelegt.
»Du willst nicht hingehen?«, fragte Natalja.
»Ich hatte nicht den Eindruck, dass Rupert mich sehen wollte«, sagte Sofi. »Ich bleibe lieber hier und arbeite.«
Eine halbe Stunde später stand Natalja unter einem Regenschirm vor der Tür und wartete auf Rupert. Ein silberner Jaguar bog um die Ecke und kam geräuschlos vor ihr zum Stehen. Sie nahm auf dem weichen cremeweißen Beifahrersitz Platz und schlüpfte aus der Jacke.
»Guten Nachmittag«, sagte Rupert und fädelte sich wieder in den Verkehr ein. »Sicherheitsgurt, bitte, wir sind hier nicht in Russland.«
Natalja lächelte und legte den Gurt an. Sie fühlte sich sehr attraktiv in ihrem einzigen schönen Kleid. Es war von Selfridges , schwarz, mit Dreiviertelärmeln und tiefem Ausschnitt.
»Ich gebe immer eine Weihnachtsparty für die Schauspieler«, erklärte Rupert, während die Scheibenwischer lautlos ihren Dienst taten. »Aber noch gehören Sie ja nicht dazu, deshalb habe ich beschlossen, mit Ihnen getrennt zu feiern. Und außerdem wollte ich Sie fragen, wie es mit den Vorbereitungen läuft.«
»Ich lerne meinen Text.«
Er hielt an einer roten Ampel und sah sie zum ersten Mal an. »Gut, wir … Herrje, wie sind Sie denn angezogen?«
Natalja sah an sich herunter. »Das ist mein bestes Kleid.«
»Ist ja schauderhaft. Viel zu nuttig, dieses tiefe Dekolleté. Da war ja Ihr Jogginganzug noch besser oder sogar Ihre Schürze damals in der Teestube.«
Nuttig? Was erlaubte er sich! Dann wurde Natalja klar, dass ihr Ärger bloß ihrer Verlegenheit entsprang. Sie hatte angenommen, sie würde schick aussehen, aber sie musste
wohl noch viel lernen. Rupert fuhr wieder an und schien keine Ahnung zu haben, wie sehr er sie verunsichert hatte.
»Vor ein paar Monaten war ich auf einer Modenschau von Dolce & Gabbana in New York. Reiterjacken und Spitzenröcke, klassisch, zeitlos. So etwas sollten Sie tragen.«
» Dolce & Gabbana ist zu teuer für mich.«
»Keine Sorge, wenn Sie erst bekannter sind, werden die Designer Sie mit Kleidern überhäufen, bei Ihrer Figur.«
»Ich bin zu klein für Model.«
»Unsinn. Ich könnte Ihnen im Handumdrehen ein paar Aufträge verschaffen. Aber das ist nichts für Sie, meine Liebe. Models werden nicht respektiert. Sie haben mehr drauf.«
Als sie endlich im eleganten Palm Court des Ritz saßen, konnte Natalja nur daran denken, wie unpassend sie angezogen war. Verzweifelt versuchte sie, sich den Arm vor den Ausschnitt zu halten.
»Entspannen Sie sich«, sagte Rupert. »Das ist ein Befehl.«
Natalja ließ artig den Arm sinken und fühlte sich schrecklich exponiert. Sie ließ den Blick durch den ganz in Gold und Elfenbeinweiß gehaltenen Teeraum schweifen. Waren noch mehr Frauen schlecht angezogen? Sie konnte es nicht beurteilen.
»Bewundern Sie die Weihnachtsdekoration?«, fragte Rupert.
Natalja folgte seinem Blick. Goldene Weihnachtsbäume mit rosa Girlanden. »Mein erstes Weihnachtsfest in London«, erwiderte sie. »In Russland Weihnachten ist erst im Januar.«
»Ja, wir Londoner wissen, wie man Weihnachten feiert«,
sagte er. »Vielleicht machen wir nachher einen Spaziergang und sehen uns die Weihnachtsbeleuchtung an.«
Ihre Laune besserte sich. Ein sehr höflicher Kellner kam, um ihre Bestellung aufzunehmen. Natalja wusste nicht, was sie nehmen sollte, also schloss sie sich einfach Rupert an. Kurz darauf wurde der Tee serviert, und dazu Gebäck und Sandwiches auf einer dreistöckigen Etagere, von der sich Rupert umgehend bediente. Natalja zauderte und war geschmeichelt und beleidigt zugleich, als er sie dafür lobte. »Braves Mädchen. Die Kamera zeigt unbarmherzig jedes Pölsterchen.«
Dann wischte er sich die Hände ab und lehnte sich nach vorn, auf die Ellbogen aufgestützt. »Kommen wir zum Geschäftlichen.«
Natalja legte ihr angebissenes Teegebäck beiseite.
»Die Einschaltquoten von Lonely Shores lassen in letzter Zeit eher zu wünschen übrig, deshalb wollen wir mit der Einführung der beiden neuen Protagonisten - darunter die Russin Tatjana - die Serie einer Runderneuerung unterziehen. Ihr mit einem neuen Vorspann und dem neu
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