Ueber den Himmel hinaus - Roman
den Weg und hatte ihre Cousine zwei- oder dreimal pro Woche zum Dreh begleitet. Außerdem musste sie Interviews und Fotoshootings organisieren, etwa für die Zeitschrift BritSoap , auf deren Märzausgabe Nataljas Bild prangte. Sofi kümmerte sich auch um alle finanziellen Angelegenheiten, denn Natalja war in diesen Dingen vollkommen hilflos und hätte ihr ganzes Geld vermutlich auf der Stelle ausgegeben. Jetzt lief ihr Vertrag für Lonely Shores aus, und da galt es, neue Angebote zu sondieren, neue Texte zu lernen, Natalja zu neuen Dreharbeiten zu begleiten. Und dann war da noch Lena, die im sechsten Monat schwanger war und immer noch bei ihnen wohnte. Sam fand eine Ausrede nach der anderen dafür, dass er noch keine Wohnung
für sie aufgetrieben hatte. Er würde einen unzuverlässigen Ehemann abgeben, doch das schien Lena noch nicht bewusst zu sein. Sofi konnte sie unmöglich im Stich lassen.
»Ich würde gern mitkommen, aber ich kann nicht. Nicht jetzt.«
»Hör gut zu«, sagte er, »denn ich werde dir das nur ein einziges Mal sagen: Ich liebe dich, Sofi Tschernowa. So. Jetzt ist es heraus, und du wirst es nicht noch einmal hören.«
»Wirst du mir Bescheid sagen, wenn du aufhörst, mich zu lieben?«, neckte sie ihn.
»Nein«, erwiderte er ernst, »denn das wird nicht geschehen.«
Sie fiel ihm um den Hals, und er drückte sie an sich. »Es wird Zeit«, murmelte er in ihr Haar und machte sich von ihr los. »Ich werde dir oft schreiben und versuchen, dich umzustimmen, damit du zu mir kommst.«
Damit reichte er ihr die Schlüssel zu seiner Wohnung. Sie hatte angeboten, sie dem Makler zu geben, damit er nicht mit seinem Gepäck quer durch die Stadt fahren musste. Er nahm seine Koffer. »Adieu, Sofi.«
»Adieu.«
Er küsste sie, und die Zeit stand still.
»Adieu«, sagte er erneut, dann wandte er sich um und ging zur Tür.
Sie legte sich auf die gestreifte Matratze, die Schlüssel fest umklammert. Laue Märzluft drang durch das offene Fenster herein und ließ die Vorhänge flattern. Sie sprang auf, spähte auf die Straße hinunter. Da war er, mit einem Koffer in jeder Hand.
»Julien!«, rief sie.
Er hob den Kopf.
»Ich liebe dich auch!«
»Das habe ich mir gedacht«, rief er zurück und setzte seinen Weg fort.
Sie sah ihm nach, bis sie ihn aus den Augen verlor.
Natalja betrachtete sich eingehend im Spiegel. Linda, die Make-up-Spezialistin von Lonely Shores , hatte ihr einiges beigebracht. Seither war ihr ihre bisherige Schminktechnik fast schon peinlich. Sie trat einen Schritt zurück und verwünschte das kümmerliche Licht in ihrem kleinen Badezimmer. Sie wohnte immer noch in diesem Loch und musste sich das Bett mit ihrer Schwester teilen, die von Tag zu Tag dicker wurde. Sie hatte sich ausgemalt, dass sie alle bald hier ausziehen und sich schönere Wohnungen mieten würden. Aber Sam schlief nach wie vor bei seinem Bandkollegen auf der Couch, und Lena schlich noch immer hier herum. Und nun, da ihr Vertrag ausgelaufen war, sah auch Natalja wieder unsicheren Zeiten entgegen. Sie atmete tief durch und versuchte, sich von ihren Sorgen nicht die Laune verderben zu lassen. Irgendetwas würde sich schon ergeben, hoffentlich.
Ihr Kleid für die Party lag auf dem Bett im Schlafzimmer ausgebreitet. Chanel , knöchellang, durchsichtig, mit Glockenärmeln und Stickerei auf dem Rock. Feminin und sexy. Rupert hatte es ihr am Freitag nach Haysbridge-on-Sea geschickt. Natalja hatte bereits ein Kleid für die Feier gekauft, ein schwarzes Abendkleid aus Samt, aber wenn Rupert sie in Chanel sehen wollte, würde sie Chanel tragen. Sie zog das Kleid an. Zu dumm, dass sie keinen großen Spiegel hatten.
Über dem Bett hing der Ausschnitt aus der BritSoap von der vergangenen Woche. Auf der einen Seite ein Foto von
Craig und Meg Bradley, und gegenüber Natalja in französischer Dienstmädchentracht, das lange Haar über eine Schulter gekämmt, der Mund dunkelrot geschminkt. »Aufpoliert« stand in dicken Lettern dazwischen, und darunter ein kurzer Text über den »neuen Look von Lonely Shores « und den Beginn der neuen Staffel am vierzehnten März. Heute Abend. Die Party fand in Ruperts Büro in Soho statt, und Natalja konnte die Vorstellung, ihn womöglich nicht wiederzusehen, kaum ertragen. Rupert hatte sich für sie eingesetzt und war in vielerlei Hinsicht ihr Retter gewesen. Er beobachtete sie häufig bei der Arbeit, und dann strengte sie sich noch mehr an, um ihn zu beeindrucken. Hin und wieder zwinkerte er ihr zu
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