Ueber den Himmel hinaus - Roman
entgegen.
»Sie erwarten dich«, sagte sie.
Seine Hände zitterten. »Hier wohnt Natalja also?«
»Nein, sie hat hier für uns eine Wohnung gemietet. Sie selbst wohnt viel nobler.«
Papa hatte erfreut und voller Stolz gehört, dass Natalja berühmt war, und Lena hatte wieder einmal das Gefühl verdrängt, dass sie nur die unbedeutende kleine Schwester
war, die keine tolle Karriere vorzuweisen hatte, sondern lediglich zwei Kinder, für die er sich nicht sonderlich interessierte, zumal sie ständig vor ihm Reißaus nahmen.
Vor der Tür wartete sie, bis er wieder zu Atem gekommen war.
»Bist du bereit?«
»Ja.«
Sofi und Natalja, die sich leise unterhalten hatten, wandten die Köpfe. Nataljas Kinnlade klappte nach unten, und Sofi nahm instinktiv Nikita auf den Arm.
»Überraschung«, rief Lena matt. In ihren Ohren rauschte es.
Natalja hatte sich wieder gefangen. »Was zum Teufel macht der denn hier?«
Lena funkelte sie an. »Er hat uns gesucht.«
Sofi erhob sich. »Ich mache Tee.«
»Meine Tochter.« Papa ging auf Natalja zu.
Sie hob abwehrend die Hand. »Fass mich ja nicht an.«
Papa wirkte verstört.
»Natalja, er ist immer noch dein Vater«, sagte Lena.
»Er hat uns verlassen, Lena. Hast du das schon vergessen?«
»Das hat er nicht. Er wurde vom KGB in ein Lager gesteckt.«
Natalja verdrehte die Augen.
»Und das ist noch nicht alles«, fügte Papa hinzu. »Aber das kann ich dir jetzt nicht erklären.«
»Ich erzähle es ihr später.« Lena wollte vor Sofi nicht schlecht über Tante Stasja reden.
»Bleibt er hier?«, wollte Natalja wissen.
»Wenn das für euch in Ordnung ist.«
Natalja erhob sich. »Meinetwegen. Ich fahre nach Hause.«
»Natalja …«, setzte Lena an, doch Papa unterbrach sie.
»Ich verstehe das. Du brauchst Zeit, um alles zu verarbeiten.«
Natalja musterte ihn abschätzig. »Du verstehst mich ganz sicher nicht.«
Sofi kam mit Nikita auf dem Arm aus der Küche. »Natalja? Passt du trotzdem morgen Vormittag auf Nikita auf?«
»Ja, aber nicht hier. Bring ihn zu mir nach Hause.«
Sofi blickte zu Viktor. »Mach ich.«
Lena war enttäuscht.
»Wer möchte Tee?«, fragte Sofi und lächelte gezwungen, nachdem Natalja energisch die Tür hinter sich zugezogen hatte.
Tja , dachte Lena, auch wenn es dir nicht passt, Natalja, du wirst dich daran gewöhnen müssen. Papa ist wieder da, und das allein zählt.
KAPITEL 29
Natalja war schon früh auf den Beinen. Sie hatte kaum geschlafen nach dem gestrigen Schock. Ihr Vater, quasi von den Toten auferstanden, und Lena, die ihn mit großen, verklärten Kinderaugen anstarrte … Gegen drei hatte Rupert bemerkt, dass sie wach war, und sie hatte ihm unter Tränen von den Ereignissen berichtet. Er hatte sie getröstet und ihr versichert, sie hätte sich richtig verhalten und sei ohne ihren Vater besser dran.
Aber stimmte das auch? Ging Blutsverwandtschaft nicht über alles? Sollte sie ihm nicht wenigstens eine Gelegenheit geben, alles zu erklären?
Nun, im Moment konnte sie ohnehin nichts unternehmen. Sie hatte versprochen, auf Nikita aufzupassen, während sich Sofi mit einer wichtigen Kundin traf. Für Anna und Matthew hätte sie nie und nimmer den Babysitter gespielt, aber Nikita war so ruhig und unproblematisch.
Rupert betrat die Küche. Er trug eine Freizeithose und ein weites Hemd. Natalja tat, als würde sie nicht bemerken, dass er in letzter Zeit ordentlich zugelegt hatte.
»Kaffee, Liebling?«, fragte sie.
»Wann kommt das kleine Monster?«
»Nikita ist kein Monster. Sogar du würdest ihn mögen.«
»Das bezweifle ich. Untersteh dich, mir jetzt plötzlich mit dem Wunsch nach Kindern zu kommen.«
Natalja schüttelte den Kopf. Ihr graute schon bei der Vorstellung, sich rund um die Uhr um jemanden kümmern zu müssen, da konnte das Kind noch so süß sein. »Keine Sorge.«
»Gut. Onkel Rupert wird sich mit seinem Kaffee ins Büro setzen und möchte nicht gestört werden, ja?«
Natalja machte sich daran, gefährliche oder wertvolle Gegenstände aus dem Weg zu räumen, damit die Wohnung kindersicher war. Sie hatte ein paar Bücher aus festem Karton für Nikita besorgt, die sie allerdings erst suchen musste. Immer wieder fielen ihr Lena und ihr Vater ein, aber sie verdrängte ihre düsteren Gedanken. Sie wollte eine gute Tante sein. Mit etwas Glück würde ihr Vater schon bald etwas Unverzeihliches anstellen, und dann käme Lena ganz von allein wieder zur Besinnung.
Eine halbe Stunde später traf Sofi ein. Ihr Gesicht war
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