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Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Titel: Ueber den Horizont hinaus - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
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einer Antwort wert war.
    „Kümmert doch keinen“, nuschelte er und Olaf verspürte mit einem Mal den dringenden Wunsch, den Jüngeren so stark zu schütteln, dass sein eingeschlafener Verstand in Gang käme.
    „Unsere Eltern sind da draußen. Was glaubst du was sie sagen würden…“
    Christian drehte sich noch mehr zu ihm und stützte sich dann auf seinen Ellbogen auf. „Du hast mich Chris genannt“, stellte er dann fest, Verwunderung in seiner Stimme.
    „Ja, ja… das habe ich allerdings“, entgegnete Olaf mit bebender Stimme und im Moment sich nicht bewusst, wovon der andere redete. Dass er selbst für sich den Jüngeren in Gedanken schön öfter mit der Koseform seines Namens bezeichnet hatte, aber es in seiner Gegenwart vermieden, spielte hier und jetzt keine Rolle.
    „Du musst gehen, sofort“, setzte Olaf ein wenig ruhiger, doch nicht weniger bestimmt hinzu.
    Ganz egal wie unwahrscheinlich es war, dass jemand in sein Zimmer sah, so wollte Olaf doch nicht den Versuch wagen und sich schon gar nicht ausmalen, was derjenige von ihm, nein, von ihnen denken sollte.
    „Du…du musst wirklich gehen“, wiederholte er und stieß Christian etwas unsanfter an, als er es beabsichtigt hatte. Der Ärger flammte erneut in ihm hoch, doch Christian schien seine Emotionen zu ignorieren. Durch die Dunkelheit sah der Jüngere Olaf an, wartete.
    „Verdammt noch man – nun geh doch!“, stieß Olaf hervor, gleichermaßen beunruhigt wie er sich bemühte, seine anwachsende Wut einzudämmen.
    Auch ohne Christians Gesichtsausdruck richtig erkennen zu können, fühlte Olaf, wie der Andere zurückwich, strahlte ihm die plötzlich offengelegte Verletzlichkeit des Jüngeren ebenso entgegen, wie der Schmerz, den sein Verhalten in diesem auslöste.
    Doch konnte er nicht begreifen, wie Christian derart unvorsichtig, derart blind sein konnte. Wie er jeglichen gesunden Menschenverstand über Bord warf und sich, sie beide einem solchen Risiko aussetzte.
    Es raschelte leise, als Christian sich langsam zurückzog, die Decken zurückschlug und sich aus ihnen befreite. Er zögerte, als hoffte er, dass Olaf ihn doch noch zurückhalten würde und mit einer Gebärde, die zumindest Unverständnis, auf jeden Fall doch ein Gefühl des Beleidigt-Seins auszudrücken schien, stieg Christian aus dem Bett und ging mit leisen Schritten zur Tür.
    Olaf seufzte. Nun sah es aus, als wäre er der Böse, als handelte er nicht auf die einzig vernünftige Art und Weise, sondern aufgrund von unnötiger Grausamkeit.
    Mit einem Stöhnen ließ Olaf sich zurücksinken, sah nicht auf, als die Tür hinter Christian zuklappte.
    Allerdings lauschte er aufmerksam, hoffte stumm, dass der Rückweg zu dem eigenen Zimmer des jüngeren Bruders ohne Zeugen vonstatten ging.
    Er fühlte sich sicherlich nicht in der Lage, den Fragen seines Vaters gegenüber zu treten, nicht in diesem Augenblick.
    Olaf wurde kalt und er zog die Decke hoch. Wie hatte Christian auch nur so gedankenlos sein können? Wie kam er darauf zu erwarten, dass Olaf so ein Verhalten zuließ?
    Olaf spürte leichte Übelkeit in seinem Magen hochsteigen. Er presste eine Faust auf seinen Bauch und wartete, lauschte immer noch.
    Doch nichts war zu hören. Kein Hinweis darauf, dass sein Bruder entdeckt oder gar aufgehalten war. Nein, das Haus war totenstill, reglos, bar jeden Gefühls und jeder Emotion, wie gewohnt.
    Vielleicht war es das, was Christian provozieren wollte. Unbewusst. Eine Emotion, eine Antwort, dass er wahrgenommen wurde auf die eine oder andere Art.
    Olaf schüttelte den Kopf. Aber der Junge wurde doch wahrgenommen. Mit Sicherheit von ihm.
    Er stöhnte leise, drehte sich dann auf die Seite. Seine Gedanken wanderten zu dem Bruder, der sich jetzt in sein Bett zurückzog, beleidigt oder verletzt, definitiv jedoch von Gefühlen erfüllt, die Olaf als negativ bewerteten.
    Er warf sich hin und her, versuchte vergeblich wieder einzuschlafen. Ob Christian auch diese Probleme hatte? Ob er sich auch im Bett wälzte, ohne eine Chance auf Frieden?
    Ob er sich wachhielt, wartete, versuchte den Zeitpunkt abzupassen, an dem Olaf aufbrechen wollte?
    Olaf setzte sich auf. Auf einmal fragte er sich, ob er es ertragen würde, am Morgen in die Augen des Jüngeren zu sehen. Er rieb sich seine eigenen, spürte, wie ihm die Chance auf Schlaf mehr und mehr entglitt.
    Noch einmal ließ er sich zurücksinken, konzentrierte sich auf die Gleichmäßigkeit seiner Atemzüge, auf seinen Herzschlag, dessen Verlangsamung dem

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