Ueber den Horizont hinaus - Band 1
setzte dann die Flasche ab und blickte Christian an, der sich vornübergebeugt und den Kopf in die Hände gestützt hatte.
„Olaf“, sagte er leise, doch Olaf antwortete nicht, was Christian nicht davon abhielt, weiterzusprechen.
„Ich weiß nicht, ob ich das durchhalte.“
Olaf musste nicht fragen, was der Jüngere damit meinte. Zu ähnlich waren seine eigenen Empfindungen, auch wenn er es nicht wagte, diese zuzugeben.
Er trank einen weiteren Schluck, ließ es dann zu, dass Christian ihm die Flasche wieder aus der Hand nahm.
„Morgen fahren wir wieder“, sagte er schließlich. „Nicht mehr als 24 Stunden, dann haben wir es überstanden.“
„Ja“, sagte Christian leise, schüttelte jedoch seinen Kopf, als könnte er es nicht glauben.
Schweigend warteten sie, beobachteten die Finsternis näherrücken.
„Was hat sie gesagt?“, fragte Olaf schließlich.
Er wartete, glaubte nicht mehr, dass Christian ihm antwortete, als dieser doch sprach.
„Sie haben alles durchgeplant“, stieß er bitter hervor. „Ich bin bereits angemeldet.“
Olaf drehte sich zu ihm. „Was meinst du?“
„Das Studium“, brummte Christian und hob die Flasche wieder an die Lippen, trank gierig, bevor er aufstieß und dann weitersprach.
„Für sie bin ich schon wieder hier, arbeite mich in Rekordzeit durch die Semester, tue genau das, was sie von mir wollen.“
„Bis dahin ist noch Zeit“, wandte Olaf ein, obwohl er nicht zugeben wollte, welch unangenehmes Empfinden der Gedanke in ihm auslöste. „Erst… erst fahren wir zurück… es gilt noch einiges zu erledigen. Und deine Pflichten sind auch noch nicht erfüllt…“
Christian drehte sich zu ihm, reichte ihm, als hätte er seinen Wunsch erraten, die Flasche.
„Aber bald“, sagte er trocken. „Es dauert nicht mehr lange und dann…“
Er ließ die Flasche los und Olaf ergriff sie gerade noch rechtzeitig. Christian rieb sich über die Stirn, über die Augen.
„Ich will nicht zurück. Ich… kann nicht…“
Olaf schwieg, trank, stellte dann die Flasche ab. Jede Faser seines Körpers schrie danach, den Jüngeren in seine Arme zu nehmen, ihn an sich zu ziehen, zu trösten und ihm zu versichern, dass alles gut werden würde.
Doch er konnte nicht, wagte es nicht. Zu nah waren sie, zu groß die Gefahr, entdeckt zu werden, zu absehbar, dass es nicht bei einer Umarmung bleiben würde, dass er sie beide in eine Lage brachte, für die es keine Erklärung gab.
Christian holte zitternd Luft.
Erst jetzt bemerkte Olaf, dass der andere in seinem dünnen Hemd fror. Doch offenbar hatte der Jüngere nur Mut geschöpft, denn er sprang entschlossen auf, schwankte nur einen Augenblick, ging dann mit zwei Schritten um Olaf herum und griff nach der Flasche, leerte diese, bevor er sie achtlos fortwarf.
„So, Dinner?“, fragte er dann, Olafs Auftauchen letztendlich korrekt deutend.
„Dinner“, nickte Olaf und erhob sich seufzend. „Denk daran, nur heute“, sagte er und legte Christian den Arm um die Schulter. „Heute unser bestes Benehmen.“
„Du meinst mein bestes Benehmen“, schnaubte Christian. „Du benimmst dich immer.“
„Quatsch“, antwortete der Ältere. „Wir sollten dich trotzdem vorher noch ein wenig präsentabler gestalten.“
Christian fasste ihn um die Hüfte, ließ sich zurück führen. „Jawohl, Chef“, schnurrte er und Olaf spürte den wohligen Schauer, der ihn stets durchfuhr, wenn der Jüngere ihn berührte. Ob er es wollte oder nicht.
*
Die Gäste entpuppten sich als reservierte Gesprächspartner. Sie lehnten Alkohol ab und Olaf war sich der Blicke bewusst, die sie um den Tisch und sich gegenseitig zuwarfen.
Nichtsdestotrotz gelangten sie nach kurzer Debatte mit Hannibal zu einer Einigung, die allerorts Zufriedenheit hervorrief und das Dinner entspannte.
Trotz allem blieb Olafs Blick die ganze Zeit auf Christian geheftet.
Er beantwortete höflich die gestellten Fragen, bewies seine Kompetenz im Geschäftlichen, und doch achtete er mit Argusaugen auf Christians Verhalten, fürchtete halb, dass dieser die Nerven seiner Eltern, die ohnehin inzwischen angespannt wirkten, überreizte, ein Verhalten an den Tag legte, dass zu der Explosion führen konnte, die innerhalb dieser Wände ständig in der Luft lag.
Nur dass ihm diese Tatsache bislang nicht aufgefallen war oder er sie gekonnt verdrängt hatte.
Und nun beobachtete er den Jüngeren, der kaum von seinem Teller hochsah, außer er beschäftigte sich damit, sein Glas wieder
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