Ueber den Horizont hinaus - Band 1
war, nahm er den sorgfältig zusammengefalteten und versteckten Zettel aus seiner Brusttasche und sagte sich vor, was sie bedeuteten.
Dabei dachte er an die dunklen Augen des Jungen, an das ungebärdige Haar und an die unbeholfenen Schritte auf dem glänzenden Parkett.
‚Es hat mich gefreut, dich kennengelernt zu haben‘, lauteten die Worte auf dem Papier. ‚Mein Name ist Pascal.‘
Ferdinand nickte und strich mit der Spitze seines durch schwere Arbeit verhornten Zeigefingers über das letzte Wort, wobei er bei sich dachte, dass der Name durchaus passte.
Und manchmal malte er sich aus, wie Pascal tanzte oder wie er auf dem Pferd saß, das Ferdinand zuvor gestriegelt hatte, und wie der Dunkelhaarige sich vorbeugte und ein Stück Papier sorgfältig am Sattel verbarg.
Weitere Jahre vergingen und obwohl der Zettel dünn und abgegriffen war, trug Ferdinand ihn immer noch bei sich.
Er war siebzehn Jahre alt und kein Stallbursche mehr. Jetzt lehrte er die Jungen, die neu auf den Hof kamen, das, was er gelernt hatte.
Er trug Verantwortung und hielt sich wohlweislich vom Anwesen fern, das alle andere Gebäude überragte. Es war nicht so, als könnte er die Ablenkung wirklich gebrauchen.
Umso überraschter war Ferdinand, als eines Tages, im Spätsommer, eine Kutsche mit Gefolge eintraf.
Nicht, dass dies selten geschah, seine Herrschaft empfing gelegentlichen Besuch und beherbergte diesen für Wochen oder auch Monate.
Doch schon als Ferdinand die Ankommenden von weitem bemerkte, fühlte er, wie sein Herz schneller schlug.
Er konnte das Wappen nicht erkennen, aber die Farben schienen ihm vertraut. Ferdinand unterdrückte den Impuls, der ihn überkam, unterdrückte die Bilder, die sich in ihm entfalteten.
Zu lange war es her, zu viel geschehen, als dass er noch wirklich wüsste, welche Farben der einzige Hof, den er außer dem, auf dem er arbeitete, kannte, für sich beanspruchte. Nicht zuletzt spielten Verstand und Erinnerung ihm doch immer wieder Streiche, blieb ihm während und auch trotz der Arbeit zu viel Zeit zum Träumen, zu viel Zeit, seine Gedanken auf Reisen zu schicken, die ihm nicht gut bekamen.
Umso verblüffter war Ferdinand, als er sich der Kutsche näherte, als er die Stallburschen beaufsichtigte, die nach bestem Wissen mit der Versorgung von Tieren und dem Transport des Gepäcks begannen.
Im ersten Augenblick glaubte Ferdinand, sich zu täuschen, fürchtete, sich zu täuschen, als er den stolzen Falken auf der Wappenzeichnung erkannte.
Sein Mund öffnete sich und sein Blick glitt rasch über die Fassade des Anwesens, über das geschäftige Hauspersonal, wanderte von einer äußeren Kraft gesteuert hinauf bis zu dem Vorsprung über dem Eingang.
Dort oben, gegen die steinerne Brüstung lehnte Pascal und sah auf ihn herab.
Er gab kein Zeichen des Erkennens, aber ein beiläufiges Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, als habe er auf etwas gewartet, einen Verdacht gehegt, eine Hoffnung, die sich jetzt bestätigte.
Noch bevor Ferdinand auch nur seinen Mund schließen konnte, drehte Pascal sich um und verschwand im Inneren des Gebäudes.
Ferdinands Puls beschleunigte sich, sein Hals trocknete aus.
Rasch, bevor jemand aufmerksam wurde, senkte er den Blick und wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinen Pflichten zu.
Doch gelang es jenen nicht ihn soweit in Beschlag zu nehmen, dass er den Anblick vergaß.
Pascal war größer geworden, genau wie er selbst. Das Haar, die Augen des anderen hatten sich jedoch nicht verändert. Beide glänzten dunkel und satte Strähnen fielen ihm in die Stirn.
Der unvermeidliche Frack war mit dem Fremden gewachsen, die Spitzen und Bordüren auffälliger denn je.
Ferdinand schluckte, dachte an das Papier, das er immer noch in seiner Brusttasche trug.
Pascal war nur ein Besuch wie so viele vor ihm und so viele nach ihm. Seine Anwesenheit bedeutete keinen Unterschied für Ferdinand oder für sein Leben. Und obwohl es sich anfühlte, als brenne der Zettel mit Pascals Namen darauf ihm in den folgenden Tagen ein Loch in seine Haut, brachte Ferdinand es nicht über sich, ihn zu entfernen.
Stattdessen wartete er und wusste nicht worauf. Aber er fühlte, dass in der Welt, die ihn umgab, etwas vorging, wenn nicht gar in ihm selbst.
Alles schien mit einem Mal um so vieles lebendiger, lauter, so leuchtend und intensiv, dass es ihm den Atem raubte.
Er fühlte den Wind auf seiner Haut und die Sonne in seinem Haar. Er spürte den rauen Grund unter seinen Füßen, lauschte
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