Ueber den Horizont hinaus - Band 1
gehen. Er verfiel auf rapide und geradezu erschreckende Weise.
Matthias konnte sich nicht mehr vormachen, dass Arthur lediglich in einer Phase steckte, dass er sich wieder finge und seinen Schwung, die Energie, seine Ausstrahlung und das unnachahmliche Charisma, das ihm so viele seiner Rollen verschafft hatte, zurückgewänne.
Zu tief steckte der Ältere bereits in dem Sumpf, in den er freiwillig eingetaucht war.
Und nun wusste es jeder. Die ganze Welt wusste Bescheid. Und die Chancen auf einen neuen Weg, auf die Gelegenheit, die es am Schopf zu ergreifen galt, und die ihm einen Neustart seiner Karriere ermöglichten, sanken mit jeder Sekunde. Mit jedem Telefonanruf, der durch die Leitungen ging, mit jedem Blog-Post, der das Thema aufgriff. Und mit jeder Sendung, die nichts Besseres im Programm hatte, als wieder und wieder das Bild von Arthurs Schande zu zeigen.
So schnelllebig die Medien dieser Tage sich auch gebärdeten, so gründlich speicherte die Branche Vorfälle wie diese, ordnete sie nach Publikumswirksamkeit in Kategorien und berechnete Verkaufszahlen aufgrund des öffentlich erweckten Eindrucks.
Wie Matthias es auch drehen oder wenden wollte, für diese Art von Publicity war Arthur letztendlich zu alt. Sie funktionierte nicht mehr in seiner Generation, funktionierte nicht, wenn der Protagonist nicht mehr jung genug war, um mit dem Nimbus des missverstandenen und am Leben erkrankten Teenagers versehen zu werden. Einem Nimbus, der heutzutage durchaus auch noch bei Dreißigjährigen passte. Aber eben nicht, wenn die Vierzig längst überschritten waren, das Zielpublikum auf die eine oder andere Art seine eigene Identität gefunden oder akzeptiert hatte.
Matthias vergrub seine Finger in den Haaren, packte ganze Büschel davon und zerrte an ihnen, bis es schmerzte.
Vielleicht war das ein Teil des Problems, so wie er selbst fraglos ein Teil von Arthurs Problem war. Soviel sollte er, zumindest sich selbst gegenüber zuzugeben.
Arthur war weit davon entfernt, eine eigene Identität zu entwickeln. Und so wie es aussah, hatte er niemals eine besessen.
Deshalb war er so gut in seiner Arbeit. Er schaffte es mühelos, sich in jemanden zu verwandeln, der ebenso eindimensional wie komplex sein konnte. Arthur war in der Lage einen Charakter zu entwickeln, zu ergründen und sich mit Haut und Haaren in ihn zu vertiefen.
Matthias beschlich manchmal der Verdacht, dass Arthur auch sein Leben auf genau diese Art führte. Arthur probierte sich aus. Er spielte mit den Alternativen.
Selbstverständlich hatte Matthias sich damals die Mühe gemacht, in Arthurs Biographie zu stöbern, als sie beide für ein zeitintensives und längerfristiges Zusammenspiel engagiert worden waren.
Wenn er so viel Zeit mit jemandem am Set verbringen musste, dann war es immer gut, sich zumindest ein wenig vorzubereiten, Gemeinsamkeiten auszuloten, heiße Themen vermeiden zu lernen.
Matthias war schon immer gut damit gefahren, sich unter den Kollegen Freunde zu machen, enge Freunde. Das kam gut in der Presse und half definitiv der eigenen Karriere weiter.
In diesem Geschäft lief vieles über Beziehungen und man konnte niemals wissen, wer aus einem umfangreichen Ensemble der Glückliche war, der den nächsten Hit landete.
Gut, wenn man mit demjenigen dann auf gutem Fuß stand. Ausgezeichnet, wenn man bereits eine Freundschaft pflegte.
Matthias befand sich lange genug in diesem Metier. Er war in jungen Jahren eingestiegen, als die Suche nach Anschluss noch ein Grundbedürfnis gewesen war. Und meist konnte er sich auf seinen Instinkt verlassen.
Schon sehr oft hatte er beobachten dürfen, wie einer seiner guten Freunde aus einem gemeinsamen Projekt ausstieg, um eine Stufe höher zu klettern, ob es sich nun um Kino handelte oder um eine Mainstream-Serie. Bislang hatte ihm allerdings noch keiner der Kontakte wirklich weitergeholfen, nicht auf eine umwerfende und karriereantreibende Weise.
Sei es, dass der andere keine Möglichkeit besaß, Matthias weiterzuhelfen, oder dass er schlichtweg seine Absicht durchschaute. Matthias dacht nicht darüber nach. Es führte zu keinem Ergebnis und Matthias hatte nicht vor, seine Zeit zu verschwenden.
Auch aus diesem Grund fühlte er sich schuldig. Nicht, dass er sich mit Absicht von Arthur zurückgezogen hatte, nicht bewusst, das ganz gewiss nicht.
Aber er entwickelte sich und er besaß jedes Recht dazu. Jung war er, jung genug, um in einem Jahr in der Musik seine Obsession zu finden, in einem anderen in
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