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Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Titel: Ueber den Horizont hinaus - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
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auf den Abschiedsgesang der Vögel, atmete den süßen Duft der Herbstblumen.
    Alles stand in vibrierender Erwartung.
    Ferdinands Blicke durchsuchten von morgens bis abends die Wiesen, die Felder, die Gebäude. Überall erhaschte er dunkles Haar, dunkle Augen, nur um beim Näherkommen zu erkennen, dass er sich geirrt hatte.
    Und er wusste nicht, ob er über seine Irrtümer traurig oder erleichtert sein sollte.
    Es war nun einmal Gesetzt, dass Pascal dort, wo Ferdinand lebte, wo er sich aufhielt, nichts verloren hatte. Niemals durfte der Dunkelhaarige seine Füße auf den Boden setzen, der Menschen wie Ferdinand trug. Nicht, ohne sich seines Standes und seiner Überlegenheit bewusst zu sein.
    Und niemals wäre es ihm erlaubt, auch nur ein Wort an den anderen zu richten.
    Ferdinand wusste nicht einmal, ob er sich dergleichen überhaupt wünschte.
    Aber er wusste, dass, selbst den anderen anzublicken, zu jenen unausgesprochenen Verboten zählte, die zu brechen, Schande und Strafe nach sich zögen.
    Ferdinand hörte auf zu schlafen.
    Er fand nachts keine Ruhe. Egal wie lange und wie schwer er gearbeitet hatte.
    Hin und wieder gab er den Versuch auf, hielt inne während seines unruhigen Wälzens auf dem Stroh, dem kurzen Eindämmern, aus dem er schweißgebadet und ohne sich daran zu erinnern, wovon er geträumt hatte, erwachte.
    Dann stand er auf und wanderte durch die tiefe Nacht oder die frühen Morgenstunden, zog seine dünne Jacke enger um den frierenden Körper und fragte sich, was um alles in der Welt er hier tat.
    Er fragte sich, ob das nun alles gewesen war, ob es so auch zu Ende gehen sollte.
    Vielleicht war er krank, vielleicht begann sein Sterben auf diese Weise?
    Er schlief nicht, aß nicht, und wenn er unterwegs war, spielten seine Sinne verrückt.
    Und er bekam Pascal nicht mehr zu Gesicht.
    Manchmal, wenn er sehr müde war, glaubte Ferdinand, sich geirrt zu haben, dass er sich die Ankunft des anderen nur einbildete, dass darin nur ein weiteres Symptom seines unaufhaltsamen Verfalls bestand.
    Bis zu jenem Tag, zu jener Nacht, in der er sich nicht mehr die Mühe machte, sich hinzulegen. Er lehnte nur gegen die Holzwand in seinem Stall, verschränkte die Arme und wartete.
    Er lauschte auf die Geräusche der Nacht, auf den Atem der Tiere und er wusste, dass etwas geschah. Und dass es in dieser Nacht geschehen sollte.
    Ein Wind kam auf. Ferdinand hörte ihn um die Gebäude streichen, vernahm sein Flüstern, das vom Ende einer Jahreszeit und dem Beginn einer anderen erzählte. Von dem Nahen des Winters, von drohender Kälte, aber auch von Klarheit und einer Bedeutung, die Ferdinand nicht verstand.
    Er ging an den schlafenden Stallburschen und Knechten vorbei, verließ das Gebäude und schloss sachte die Tür hinter sich.
    Weiter lief er, fort von dem Anwesen, vorbei an den Stallungen, erbaut für die Kostbarsten der Pferde, die, um jene er selbst sich nur in den seltensten Fällen kümmern durfte, die für Handel und die Zucht bestimmt waren, nicht für seine schmutzigen Hände, und er erreichte das Feld, welches gleich im Anschluss an den Wald grenzte, der in der Finsternis düster und bedrohlich wirkte.
    Doch verblasste die Finsternis, ebenso wie die schwelende Bedrohung, obwohl oder gerade weil Ferdinand dort, im Schutz der hohen Bäume jemanden stehen sah.
    Er fühlte keine Angst, nicht einmal Zweifel, als er sich dem Mann näherte, spürte nicht einmal Verwunderung über die beiden wertvollen Tiere, die Pascal lose am Halfter führte.
    Der Mond schien silbern über sie hinweg, spiegelte sich in Pascals Augen, in seinen weißen Zähnen, als er lächelte.
    „Ich habe auch gewartet“, sagte er und seine Stimme klang gerade so wie Ferdinand es erwartet hatte, sanft und tief.
    Er reichte Ferdinand einen der Zügel. „Kommst du?“, fragte Pascal und Ferdinand überlegte nicht, als er sich in den Sattel schwang, als sie ihre Pferde antrieben und am Waldesrand entlang jagten.
    Erst als sie über die Grenzen der Grafschaft hinaus waren, als sie im stummen Einverständnis abstiegen, um den Tieren Rast zu gönnen, wandte Pascal sich wieder an Ferdinand, sah ihn ruhig an, bis Ferdinand seinen Blick zu Boden senkte.
    „Warum tust du das?“, fragte er heiser. Und als er wieder aufsah, lächelte Pascal nahezu hilflos.
    „Ich musste dich wiedersehen“, sagte er schlicht. „Nichts anderes war von Bedeutung.“
    Dann drehte er sich um und nestelte an der Satteltasche von Ferdinands Pferd, zog eine pelzgefütterte

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