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Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Titel: Ueber den Horizont hinaus - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
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saßen oder besser beinahe lagen, ihre Hände entweder verschränkt oder auf dem Körper des anderen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob dieses ein Brüdern angemessenes Verhalten darstellte.
    „Weißt du“, sagte Christian eines Abends und Olaf fiel auf, wie häufig der Jüngere diesen Satzanfang gebrauchte. Doch das Lächeln, das in ihm aufsteigen wollte, verschwand, als Christian seine Hand hob, deren Finger mit denen Olafs verschlungen waren, und sie betrachtete
    „Weißt du“, wiederholte er, während sie wie gewöhnlich auf dem Sofa lagen und einen Film ansahen, der zu wenig fesselte, als dass er sie von einem Gespräch abhalten konnte.
    „Ich denke, wir sind gar keine richtigen Brüder.“
    Olaf blinzelte und setzte sich auf. „Was meinst du damit?“, fragte er. „Natürlich sind wir Brüder. Ich war praktisch anwesend, als du auf die Welt gekommen bist.“
    „Das schon“, gab Christian zu. „Was das Blut betrifft, die Verwandtschaft und so.“
    Er seufzte. „Aber wir sind nicht zusammen aufgewachsen.“ Er wartete einen Moment, bevor er weitersprach. „Ich meine, ich kenne dich im Grunde gar nicht. Und… und du mich auch nicht.“
    Olaf schüttelte den Kopf. „Das stimmt nicht. Ich kenne dich, besser als du vielleicht denkst.“
    Christian seufzte wieder und lehnte sich gegen den anderen. „Vielleicht“, murmelte er dann. „Vielleicht auch nicht.“
    Und Olaf war erleichtert, dass Christian seine Aufmerksamkeit wieder auf den Film konzentrierte.
    Doch als der Film beendet war und Olaf das täglich wachsende Bedürfnis verspürte, dort sitzen zu bleiben, wo er sich gerade befand, die Vorstellung mehr und mehr verabscheute, die Bequemlichkeit, die Nähe und die Vertrautheit, die ihn mit Christian verband, aufzugeben, nahm sein Bruder das Gespräch wieder auf.
    Ebenso wie Olaf unternahm er keine Anstalten, ihre Verbindung zu lösen und Olaf musste vor sich selbst zugeben, dass er froh darüber war, geradezu erleichtert, dass ihre körperliche Trennung sich hinauszögerte.
    Offenbar hegte Christian ähnliche Gedanken, denn das Nächste, was er sagte lautete: „In zwei Tagen kommen sie wieder.“
    Er brauchte nicht aussprechen, wen er meinte. Olaf war es auch so klar und so nickte er nur kurz.
    Christian seufzte. Doch dieses Mal klang der Laut nicht erleichtert oder zufrieden, sondern gequält und Olaf war erstaunt darüber, wie gut er die Laute, die sein Bruder ausstieß, mittlerweile schon zu deuten verstand.
    „Von mir aus könnten sie wegbleiben.“ Die Worte klangen wie ein Wunsch, ein ärgerlich hervorgestoßener Wunsch und Olaf schämte sich zuzugeben, wie sehr Christians Gedanken den Seinen glichen.
    „Sie sind unsere Eltern“, murmelte er leise, als wüsste er nicht genau, ob er eine Entschuldigung formulieren sollte, oder es lieber bleiben lassen.
    Christian schnaubte nur.
    „Ja, phantastisch“, brummte er schließlich und richtete sich dann mit einem plötzlichen Ruck auf.
    Olaf unterdrückte einen leisen Schmerzenslaut, als Christian ihm seinen Ellbogen in die Brust rammte. Doch dieser, unvermittelt munter geworden, sah ihn mit glänzendem Blick an.
    „Ich könnte doch mit dir zusammenwohnen… wenn du… wenn du mit all dem fertig bist und dir eine Wohnung in der Nähe der Firma nimmst.“
    Olafs Herz schlug höher, doch er schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass das ginge“, meinte er zögernd.
    „Sie würden es gar nicht merken“, stellte Christian fest. „Und wenn, dann wären sie froh, mich los zu sein.“
    „Sag so etwas nicht“, ermahnte ihn Olaf, obwohl es ihm tief innen einen Stich gab zu ahnen, wie nah Christian an der Wahrheit lag.
    Christian legte ihm beide Hände auf die Schultern, sah ihm ins Gesicht. „Es wäre perfekt“, versprach er dann. „Ich halte alles in Ordnung. Du brauchst dir überhaupt keine Arbeit zu machen. Glaub mir – mit mir ist dein Leben der Himmel auf Erden.“
    Olaf senkte rasch den Blick. Die Regung in seiner Leistengegend irritierte ihn ein weiteres Mal und er räusperte sich trocken.
    „Ich würde… wirklich gerne“, stammelt er und erlaubte sich für einen Augenblick die Vorstellung, wie es wäre in ein Zuhause zu kommen, in ein richtiges Zuhause, in dem Christian auf ihn wartete.
    „Doch es geht nicht“, setzte er leise hinzu, während verlegene Röte über sein Gesicht zog. „Es geht nicht“, wiederholte er und schob das Bild, das sich ihm aufdrängte beiseite.
    „Warum nicht?“ Christian sah ihn

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