Ueber den Horizont hinaus - Band 1
Christian die Treppen hinauf führten. Sobald sie verklungen waren, stand auch er auf, müde, schwerfällig.
‚Nur einen Drink zum Einschlafen‘, dachte er bei sich, als er den Whisky ins Glas füllte. ‚Nur einen.‘
Es wurden dann doch mehrere und Olaf genoss das angenehme Wunder der sich vergrößernden Distanz zwischen ihm selbst und seinen Gefühlen, die der Alkohol auslöste.
Vielleicht half ihm die Wärme der Spirituose auch, die fehlende Wärme, die sein Bruder in sein Herz brachte, zu ersetzen.
Olaf schwankte leicht, als er die Lichter löschte und sich auf den Weg in sein Zimmer machte.
Zumindest half ihm der Alkohol, die deprimierende Grundstimmung, die ihn den ganzen Tag in ihrem Bann gehalten hatte, zu ertragen und Olaf gelang es sogar, sich einzureden, froh darüber zu sein, das dunkle Elternhaus wieder verlassen zu dürfen, sein Leben wieder aufzunehmen, sein unabhängiges, eigenständiges Leben.
Wenn da nur nicht der Gedanke an Christian gewesen wäre, an Christian, den er hier zurückließ, zurücklassen musste.
Mit Gewalt schob Olaf die Selbstvorwürfe zurück. Auch Christian würde diese Zeit überstehen. Nicht mehr lange und auch er wäre erwachsen. Im Grunde war der Junge es doch schon, so versicherte Olaf sich, als er sein Zimmer erreichte, sich mit fahrigen Händen entkleidete und seufzend in sein Bett schlüpfte.
*
Es war dunkel, als er aufwachte. Kein Licht drang durch die schweren Vorhänge, und doch hatte ihn etwas geweckt.
Olaf schluckte trocken, sein Kopf brummte und er trieb auf einer Welle dahin, die er sich nicht erklären konnte.
Und er war nicht allein. Mit einem Mal wusste Olaf, dass er nicht allein war, dass er Gesellschaft hatte.
Ein zweiter, warmer Körper lag neben dem seinen, verströmte Vertrautheit, eine gleichzeitig beruhigende und verstörende Art von Geborgenheit.
Olaf schloss die Augen wieder und schwamm mit der Welle weiter. Er träumte, musste träumen.
Das Wasser um ihn war weich und liebkoste ihn sanft und mit einem Mal war es ein Arm, der sich über seine Brust legte, ein Körper, der sich an den seinen schmiegte, leiser Atem, der gegen den leichten Stoff von Olafs Pyjama blies.
Olaf hielt seine Augen geschlossen, wusste nicht und wollte nicht wissen, was um ihn geschah.
Doch er ließ es zu, dass sich der andere gegen ihn presste, dass sich eine feingliedrige Hand in seinem Haar verirrte.
Und er erwiderte die Umarmung, zog Christian an sich, umschlang ihn, hielt ihn und barg sein Gesicht an dem Hals des Jüngeren. Dann sank er zurück in die Welt der Träume.
Olaf erwachte mit schmerzender Kehle. Durst plagte ihn und er fasste sich mit einem Stöhnen an die Stirn, verfluchte die Versuchung des Alkohols, der er nachgegeben hatte.
Erst dann bemerkte er, dass er nicht geträumt hatte, bemerkte Christian, der neben ihm auf dem Bauch lag, seinen Arm immer noch über Olafs Brust ausgestreckt. Christian atmete ruhig und friedlich, seine Seite perfekt an Olafs Seite gedrückt, sein Bein entlang dem des Älteren, seine Schulter fast auf der Schulter des großen Bruders.
Olaf seufzte. Einen Augenblick lang fühlte er sich hauptsächlich verwirrt, von der Situation überfordert.
Doch dann dachte er daran, dass dies nicht das erste Mal gewesen war, dass es sich, vielleicht im Gegenteil, nur um die logische Konsequenz ihrer bevorstehenden Trennung nach einer vorangegangen Schwierigkeit handelte.
„Hey“, sagte er leise, und fragte sich selbst, ob er es über sich brachte, den Jüngeren zu wecken. Vielleicht sollte er ihn auch einfach nur schlafen lassen, ihm erlauben, den Rest der Ferien auszukosten.
Und doch war dies der Tag, an dem Hannibal und Helena zurückkehrten und Olaf konnte sich nicht vorstellen, dass sie sonderlich erfreut darüber wären, ihren jüngeren Sohn im Schlafzimmer seines älteren und nur sporadisch anwesenden Bruders vorzufinden.
„Hey“, wiederholte er und streichelte den Arm auf seiner Brust, bevor er ihn von sich wegschob.
Christian seufzte und drehte sich erst auf die Seite und dann auf den Rücken, jedoch ohne ein Anzeichen des Erwachens zu geben.
Sein Haar war ein einziger Wirrwarr und er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sein Pyjama-Hemd vorne zu schließen. Es stand leicht offen und erlaubte den Blick auf die flache Brust, nicht mehr jungenhaft, aber auch noch nicht die eines Mannes.
Olaf schluckte wieder und bemühte sich nicht an die Erektion zu denken, die er hatte. Die keine Besonderheit war, so sagte er
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